Muckefuck
schlüge sozusagen, unter immer neuem Einsatz, mit allen zur Verfügung stehenden Streitkräften. Er drückte sich wirklich so militärisch aus, der eigentlich zivile kleine Dr. Erdemann.
Wir begannen den Kampf. Großmutter marschierte, machte Wickel, brühte Pfefferminztee, dessen Dämpfe von meiner Mutter inhaliert wurden. Mutters Gesicht, schon sonst von der Anstrengung gerötet, fast zwei Zentner Lebendgewicht treppauf, treppab zu tragen, glühte nun dunkelrot in den weißen Kissen, zu denen wiederum das dunkle Holz der Bettstelle einen Bilderrahmen abgab.
Im Kampf mit der Krankheit überkletterte Großmutter täglich sich erneuernde Zeitschriftenhürden neben dem Bett, denn auch jetzt ließ meine Mutter nicht von ihrer Gewohnheit ab, die deutsche Hausfrau in einschlägigen Magazinen zu betrachten. Großmutter stieß sich durch den Papierberg mit wohlgezielten Tritten ihres pantoffelbewehrten Fußes, bevor sie den nächsten feuchten Umschlag anlegte, Aufgüsse von Bockshornklee und Gundelrebe reichte.
»Wird schon werden«, murmelte sie, und die hochrote, stark schwitzende Kranke nickte dankbar. Vernachlässigt wurden jetzt sogar die Hühner, sie legten, wohin sie wollten. Und während von oben der medizinischschwüle Brodem aus dem Krankenzimmer das Haus zu durchdringen begann, brannte in der Küche einmal sogar Großmutters Klümpersuppe an. Nun stieg von unten herauf Gestank von angesetzter Milch und verschmortem Mehlpaps, vermischte sich mit dem Geruch der Krankheit.
Täglich kam Dr. Erdemann, um seinen Wellenritt auf den rosa Wülsten des befallenen Körpers zu absolvieren, täglich presste er einen neuen Holzspatel in den eitrigen Schlund. Danach, während das Wasser im Badezimmer rann, der Doktor sich die Hände wusch, beteuerte er überdie Schulter hinweg »es wird schon, es wird schon«, beteuerte es jedem. Alle waren hinter ihm im Flur versammelt, der so dunkel war, dass auch tagsüber das Licht brennen musste: eine trübe Angelegenheit, denn die Sparfunzel ließ den Raum, obwohl neu tapeziert, zu einem Arme-Leute-Gemach herabsinken.
Trotz Dr. Erdemanns gelenkten Angriffen: es wurde anscheinend nichts. Die Patientin verweigerte die Nahrungsaufnahme, begann nach Luft zu ringen. Nur ständige kleine Schlückchen Selterswasser erleichterten die grimmigen Beschwerden.
Großmutters Ledersohlenpantoffeln klapperten durchs Haus. Die Treppe hinauf, durch den halbdunklen Flur, wieder hinunter. Minnamartha saß im Bett, von vielen Kopfkissen gestützt, auf denen sich die zartrosa Blumenund Rankenmuster des Plümos wiederholten.
Wir hörten Großmutter murmeln, sie führte Selbstgespräche, eine Angewohnheit, der sie immer mehr verfiel. Sie stocherte mit dem Feuerhaken im Küchenherd, und dieses Geräusch drang bis nach oben durch das stille Haus. Großmutter duldete keine Niederlage durch Krankheit, das wussten wir. Aber würden auch diesmal ihre Teeaufgüsse helfen?
Der Abend kam, die Hühner saßen auf der Stange, ein letztes Mal auf Legefähigkeit befühlt. Wir hörten Großmutter kommen, und nun stand sie in der Tür, eine Tasse in der Hand, von der der Henkel abgebrochen war. Wir hatten diese Tasse schon vorher gesehen. Als Kükentränke. In der Tasse schwabbelte eine ölige, durchsichtige gelbe Flüssigkeit. Sie roch so durchdringend, dass selbst die übrigen in Flur und Krankenzimmer brütenden Gerüche zurückgedrängt wurden. Ede äußerte die Vermutung, es sei Petroleum.
»Dummkopf!«, sagte die Großmutter.
»Und was soll damit?«, fragte Ede.
Großmutter: »Damit wird jejurjelt!«
So geschah es. Meiner Mutter war es sowieso egal, was noch an ihr versucht wurde. Sie gurgelte. Dann bekam sie einen Erstickungsanfall. Wir glaubten, das sei das Ende. Nur Großmutter war ungerührt. Und dann brach Minnamarthas Abszess auf.
In dieser Nacht schlief niemand in diesem Haus. Großmutter klapperte weiter treppauf, treppab. Minnamartha stöhnte. Ede saß in einem roten Plüschsessel neben ihrem Bett. Eine schwache Nachttischlampe beleuchtete die Szene. Ich lag wach nebenan im Bett, bei offener Tür. Zwischendurch fiel ich in Halbschlaf und träumte von einer riesigen Gangsterlimousine – Pullman -, die in rasender Fahrt an mir vorbeizischte, ich wusste, sie gehörte eigentlich mir, aber sie schien unwiederbringlich verloren. Da sah ich, dass sie im Vorbeirasen einen Faden abspulte, ich fasste diesen Faden, die Limousine kam, schon weit entfernt, zum Stehen, ziemlich ruckartig, und es gelang mir mit
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