Muckefuck
Daumensprünge rechts neben Heuschober bewegliches Ziel!«
»Jawoll, Jungzugführer! Erkannt!« – Löcher hat der Schweizerkäs. Othmar schneuzte den Staub in ein blütenweißes Taschentuch. Er hatte immer blütenweiße Taschentücher. Auf unseren Fahrtenmessern war eingraviert: Blut und Ehre! - Damals waren wir elf.
Im Garten bauten Ede und ich aus einem alten Vogelbauer eine Falle und fingen Grünlinge. Aber wir ließen sie immer wieder fliegen. Im Zimmer, auf der Etagere, stand ein neuer Radioapparat.
Durchs offene Fenster drang eine Stimme bis in den Garten. »Der teutschsche Solltatt …«. »Meingottmeingott«,sagte meine Mutter, »wo wir doch schon so viel durchgemacht haben…«
Ich verstand sie nicht.
Ede ließ die zuletzt gefangenen Grünlinge frei.
Großmutter ignorierte die neuen Zeiten. Sie buk weiter Eierkuchen, fütterte die weißen Leghorns und versuchte noch, mir aus dem dicken grünen Buch mit den Märchen vorzulesen.
Kulle Rosenbusch führte uns an den Dienstagnachmittagen und sonntags zu Veranstaltungen. Wir trotteten über den Asphalt der großen Stadt, vier Jungzüge, das ganze Fähnlein. Vorneweg der Fähnleinführer, den wir nur selten sahen, hinter ihm die Fahne und die Wimpel und die Trommler. Dann der Fanfarenzug, dann die vier Jungzüge. An unserer Seite immer Kulle Rosenbusch mit der grünen Jungzugführeraffenschaukel am Hemd, mit der Fahrtentasche und den randgenagelten Schuhen, die auf dem Asphalt knirschten.
Vor dem Denkmal Joachim Hansens, dem Husarenreitergeneral, zogen wir auf, riefen heil, als die Achse Berlin-Rom gehärtet wurde. Ganz weit weg auf dem Balkon stand er, der Führer, und reckte den Arm neben seinem römischen Gast, während vor uns die Bersaglieri, Hahnenfedern am Hut, im Laufschritt ihre schutzblechlosen Fahrräder vorbeischoben. Der Fanfarenzug blies. Die Sonne brannte auf uns herab.
Dann abends, Kulle Rosenbusch immer neben uns, Aufmarsch in den stillen, regenglänzenden Straßen des Villenvororts. Die Kiefern, die in den verwilderten Gärten standen, dufteten. Kommandos. Schuhe scharrten. Kulle meldete dem Fähnleinführer. Eine Mischung aus Hitlerjunge und Goldfasan stand vor der Front, rote Affenschaukel auf Braun, der Bannführer. Einer trat vor und sagte ein selbst gereimtes Gedicht auf. Ein Holzstoß wurde in Brand gesetzt. Wir sangen: Flamme empor!
Aus dem Radio drang die Stimme des Führers. Wir hörten sie in der Schule beim Gemeinschaftsempfang, wir hörten sie auf den Heimabenden, sonntags zu Hause, nachmittags in den Wohnungen.
Selbst in den Büchern über Komposthaufen war nun schon sein Bild, gegenüber der Titelseite. Der strenge Blick seiner Augen verpflichtete jeden. Der Führer und die Sudetendeutschen. Der Führer füttert ein Eichhörnchen. Der Führer bekommt von BDM-Mädchen einen Blumenstrauß. Der Führer auf dem Berghof. Der Führer und ein altes Mütterchen. Der Führer und die alten Kämpfer. Der Führer in jeder Zeitung, in jedem Buch. Sein Bild im Wartesaal, im Jungvolkheim, im deutschen Wohnzimmer, auf der D-Zug-Toilette.
Nicht nur die Saar, ewiger Bumerangstaat, war heimgekehrt. Wir waren auf dem besten Weg zu Großdeutschland. Großmutter hielt nicht viel davon, dass nun auch der sogenannte Korridor heimkehren sollte ins Reich. »Da sind nun die Pollacken, und da soll man sie auch lassen«, meinte sie.
Kulle zog mit uns auf den Schießstand. Vorerst war es noch Kleinkaliber.
Die Katze, die dreibeinige schwarze Hauskatze? Sie war von Natur misstrauisch. Ihren Lieblingsplatz hatte sie jetzt hinten an dem Herd, an der Wand. Neben ihr stand Großmutters Kaffeekanne. Eine blaue statt der braunen Bunzlauer, aber auch dickbäuchig. Und gemütlich. Denn, abgesehen vom Dienst im Birkenwäldchen, lebten wir so, alssei alles normal. Gewiss, wir lasen Patrouille Bosemüller und Armee hinter Stacheldraht und sangen: Wildgänse rauschen durch die Nacht. Sicher, der Biologielehrer trug ein kleines schwarzes Abzeichen mit zwei weißen Runen im Knopfloch. Sicher, der Turnlehrer rief »Bismarckschule stillgestanden!«
Einmal in der Woche war Rudern. Wir schleppten die schlanken braunen Boote zum Wasser, das hier, an einem Nebenarm des Sees, ruhig und dunkelgrün war. Weiden wuchsen am Ufer. Rechts lag die Durchfahrt zum großen See, unter einer schwarzen gusseisernen Brücke hindurch. Der Turnlehrer benutzte ein Megafon, eine Flüstertüte. Aus Blech. Damals begann die Zeit der Flüstertüten und der Lautsprecher. Schon durch eine
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