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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Flüstertüte ließ es sich wesentlich besser befehlen. Bismarcks Bild schaute durchs Treppenhausfenster, wenn wir die Boote ins Wasser setzten und die glatte grüne Oberfläche zerstörten. Auch Bismarck war überall. Hier, im Ruderheim, hing Bismarcks Bild. In der Schule hing er gleich dreimal: in der Aula, auf dem Flur und im Treppenhaus. Er hing überall da, wo der Führer nicht hing.
    Bismarck hatte auf den meisten Bildern einen goldenen Kürassierhelm auf. Zu Hause besaßen wir sogar einen Kuchenteller mit dem Bild Bismarcks in der Mitte. Auch dort hatte er den goldenen Helm auf. Ringsherum lief unter dem durchbrochenen Rand, in Goldbuchstaben, die Inschrift: Wir Deutschen fürchten Gott – sonst nichts auf der Welt.
    Die Boote lagen am Steg, wir setzten die Riemen in die Dollen. Dann peitschte uns die Flüstertüte zu strengem Rhythmus. Wir weiteten unsere Hühnerbrüste im gleichmäßigen Ruderschlag. Schon schossen die Boote unter der eisernen Brücke hindurch, auf den silbernen großen Seehinaus. Eins, zwei, eins, zwei. An den Ufern glitt Heimatkunde vorbei.
    Hier hatte der große König gelebt, jener mit dem ständigen Durchfall und den abgeschnittenen Handschuhfingern, gelebt immer dann, wenn er nicht seine Grenadiere mit den roten Blechzipfelmützen bei Rossbach oder Leuthen anfeuerte, die Heerscharen einer immerhin recht zivilisierten Königin zu füsilieren. Hier hatte er ihn empfangen, Joachim-Hans, den Husarengeneral, der so häufig aus dem Busch kam, um Panduren die Hosen stramm zu ziehen. Und dort, hinter jenem Hügel, lag des Königs Schloss, von hier aus nicht zu sehen, aber wir wussten ja alle, dass seine Lieblingswindhunde da begraben waren, auf der Terrasse. Heimatkunde links am Ufer, rechts am Ufer, während der Bug des Bootes in das Wasser schnitt, das, wie wir auch wussten, eine eiszeitliche Senke füllte, die von hier aus bis Warschau reichte. Warschau wurde jetzt aktuell. Es handelte sich um alten deutschen Kulturboden.
    Wir ruderten. Die Flüstertüte blitzte in der Sonne. Weiter hinten hing über dem See die dunkle Rauchfahne von einem Dampfer der Stern- und Kreisschifffahrt. Eins, zwei, eins, zwei. Wir waren es gewohnt, uns im Rhythmus zu bewegen. Kulle hatte es uns beigebracht, mit Kommandostimme und randgenagelten Schuhen, Größe 45. Und es war auch, wie wir gelernt hatten, die Lingua Latina aus derselben Sprachenfamilie abgeleitet wie diese Kommandosprache und wie die Reden des Führers und seines Reichsjägermeisters, schließlich seines Propagandaministers.
    Wir streckten die Knie – der Rollsitz rollte zurück. Die Ruderblätter wirbelten das Wasser auf. Die Flüstertüte klebte am Mund des Turnlehrers. Unsere Boote nahmen Kurs auf den Dampfer.
    Wir ruderten. Ede polierte seine Taxe. Er hatte jetzt nur noch eine. Auf der Straße ging Herr Gallert vorbei und rief laut:
    »Heil Hitler!« Ede überhörte es.
    Oben im Haus lag meine Mutter im Bett und hatte Halsweh. Dr. Erdemann wurde gerufen, traf auch ein, im Nadelstreifenanzug, ganz der Vertrauenswürdige und mit schwarzer Tasche. Jovial lächelnd und plaudernd – »na, wo fehlt es uns denn?« – hantierte er mit dem Spatel, drückte die Zunge herunter, ließ »Aaaa«, sagen. Es kam aber nur ein Krächzen. Nun flink die Bettdecke zurück, das Nachthemd hochgerollt, bis Mutters Oberkörper frei dalag, trotz der Tage des Leidens immer noch ein Meer von rosa Wülsten und Rundungen, auf dem der Doktor nun schwamm mit kurzem hölzernem Stethoskoprohr, die Innereien abhorchte durch die vielfältigen Schichten hindurch, die den Ton von Herz und Lunge auch dem empfindlichsten Arztohr zu entziehen versuchten: Erfolglos bei ihm, dem Wellenreiter auf Rosa. Die Krankheit wurde erkannt, mit strenger Formulierung umrissen, als Angina, schwerster Art allerdings, wie ja auch das Fieberthermometer schon bewiesen hatte, und wenn die Patientin in der Lage gewesen wäre, Worte ohne Beschwerde zu formulieren, hätte hier wahrhaftig Anlass vorgelegen zu vielen »Mein Gotts«.
    Die Krankheit war da und wurde, nachdem der Leib der Kranken wieder verhüllt, der bakterienbesäte Spatel beseitigt war, Anlass zu einer Flüsterkonferenz auf dem Flur vor dem Krankenzimmer, zwischen dem mutigen Doktor und Ede, meinem Vater. Ich hörte, von meinem Zimmer, wo ich hinter der nur angelehnten Tür verborgen stand, dass nur ständig wiederholte Wickel, bestimmte Tabletten und Medizinen hier helfen konnten. Helfen auch nur, wenn maneifrig sei, eine Schlacht

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