Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
Vom Netzwerk:
blaugrauen Farben des Luftschutzfunktionärs, sah aus wie ein Bäcker. Die Katze kam miauend unter einem Bett hervorgekrochen. Auch sie war weiß.
    Großmutter spuckte einen Mund voll Mörtel aus und rieb sich die Augen unter der Brille, die an ihrem Platz geblieben war. »Was sagt der Drahtfunk?«, fragte sie.
    Kutschke rüttelte am Volksempfänger, aber der hatte die Druckwelle schlechter vertragen. Nichts tickte. Im Planquadrat Gustav Gustav 2;wei herrschte absolute Ruhe. »Er ist hin«, schrie er der schwerhörigen Großmutter ins Ohr.
    »Wer?«
    »Der Volksempfänger!«
    »Ach so.«
    »Er tickt nicht mehr.«
    »Wer?«
    »Frau, der Drahtfunk tickt nicht mehr!«
    »Scheibenkleister«, sagte Großmutter.
    Im Planquadrat Gustav Gustav zwei blieb es unglaublich ruhig. Kutschke stürmte, von Staub umhüllt, von Balkenwerk behindert, gegen die Kellertür. Sie ließ sich nichtöffnen. Wahrscheinlich blockierte Schutt sie von außen. Kutschke schwang seinen Pickel gegen die Mauer des Notausstiegs, die in Sekunden niederbrach und einen neuen Staubpilz in den Keller pustete. Hinter der Öffnung: Schutt. Nichts als Schutt.
    Kutschke: »Wir sind verschüttet.« Er sprach wieder ganze Sätze.
    Großmutter streichelte die Katze, was ich daran sah, dass zwischen ihren Händen weiße Staubwolken aufquollen. Die Katze maunzte.
    »Ziehen wir eben in die Laube«, sagte Großmutter zur Katze.
    »Falls wir hier je wieder rauskommen«, murmelte Kutschke.
    Dann hörten wir die Rettungskolonne über unseren Köpfen rumoren.

Teil 2
    Drei Uhr morgens.
    Ingrid stopfte ihre Mähne unter den Luftschutzstahlhelm. »Pause«, sagte sie.
    Etwa zwanzig Heimatkrieger in Overalls, Taschenlampen vorn am mittleren Knopf, räumten Stein für Stein eine Schutthalde weg, die vor einigen Stunden noch Familie Kaisers Stolz verkörpert hatte. Ein Eigenheim, zusammengedroschen von einer Luftmine, wahrscheinlich 1000 LB Demo, Auftreffwucht fünfundzwanzigtausend Megatonnen.
    With love from Winnie.
    Die Bevölkerung nannte diese Bomben Badeofen oder Wohnblockknacker.
    Bombenziel war der älteste Boskopapfelbaum im Garten gewesen, saubere Arbeit. Leider stand das Haus zu dicht daneben.
    Minnamartha, vom Luftschutzbunker zurückgeeilt, probierte tränenüberströmt den Hausschlüssel, denn ein Teil der Giebelwand mit unversehrter Tür stand noch, zum Hohn, oder weil die Luftdruckwelle ungünstig (oder günstig) aufgetroffen war. Im Übrigen bestand das Eigenheim Nr. 413, Plan A 12, Typ 2 A nicht mehr.
    Die Luftschutzbrigade begann wieder zu arbeiten. »Ich glaube, Kutschke ist auch unten«, sagte jemand. Kutschke, den wackersten aller Heimatkrieger, mussten sie retten.Dazu zwei wenn nicht Partei-, so doch Volksgenossen, und eventuell eine dreibeinige schwarze Katze, Alter geschätzt fünfzehn Jahre.
    In der Nähe flackerte ein Brand auf. »Taschenlampen aus«, rief Ingrid. »Batterien sparen!« Auch Batterien waren bewirtschaftet, außerdem von miserabler Qualität.
    Das Schicksal der Kellerinsassen war ungewiss. Hatten die hölzernen Streben und Versteifungen standgehalten? Möglich war ja, dass sie Kutschke beschissen hatten: mieses Holz. Immerhin wogen die Trümmer eines Einfamilienhauses weniger als die eines soliden, vierstöckigen Mietshauses. Dafür waren die Kellerdecken schwächer konstruiert.
    Ein Brand war glücklicherweise nicht ausgebrochen.
    Immer noch von oben gesehen: Hatten die drei, mit Katze vier, überlebt? Saßen sie, wie Verschüttete in einem Bergwerk, unter zusammengeknickten Stempeln, zerplitterten Tragbalken? Lagen sie blutend, stöhnend, mit zerquetschten Gliedmaßen unter Tonnen von Zementbohlen, Eisenträgern und Ziegeln?
    Niemand wusste es.
    Dieser penetrante Geruch von Mörtelstaub!
    Ingrid schuftete ganz vorn, magere Arme ragten aus aufgerollten Overallärmeln. Die amtliche Bezeichnung allerdings war Kombination, weil Overall englisch, feindlich und verpönt war. Ingrid löste mit den Händen Mauerstein um Mauerstein, reichte sie dem Nebenmann, der sie weiterwandern ließ durch die Kette der Helfer. Ingrid in ihrer Kombination, ein eher unförmiges Heimatkriegerpaket, dachte nicht an Zitrone und Banane. Nicht in dieser Nacht.
    Minnamartha, den seitwärts geparkten, dokumentenbeladenen Notkinderwagen misstrauisch im Auge behaltend, umkreiste weinend die gebückten grauen Gestalten, die emsig eine Gasse durch die Trümmer zu den Eingeschlossenen gruben. Hier und da nahm sie einen Stein auf, legte ihn sinnlos irgendwo ab,

Weitere Kostenlose Bücher