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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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merkten wir, war traurig. Sogar Kutschke begriff und schloss leise die Tür zum Luftschutzkeller, wo der Drahtfunk schon wieder tickte. Auch ich, fast linientreu und bereit zum Durchhalten, wurde berührt von dieser Szene am Regal im halbdunklen Keller. Ich verdrückte mich.
    Wer war als Opfer ausersehen? Fanselows, die ewig Fröhlichen, auch jetzt noch zu makaberen Scherzen aufgelegt? Herr Reh im kleinsten Typ? Othmars Familie, sie alle ringsumher in ähnlichen Siedlungshäusern? Sie kämpftenmit Ziegel- und Glasschäden, Mauerrissen und herausgefallenen Rabitzwänden.
    Kurz vor Mitternacht weckte uns Mutters Stimme. »Voralarm«, rief sie. »Der Bahnwärter hat schon getutet.« Während Großmutter und ich uns fertig machten, um in den Keller zu gehen, lud Mutter ihre Koffer mit Dokumenten und Bekleidung, auch die Laienhelferinnenausrüstung auf ihren alten Kinderwagen und verschwand in der pechschwarzen Nacht, in Richtung Bunker.
    Großmutter klapperte die Treppe herunter, »verdammte Lümmels« und andere Verwünschungen murmelnd. Ich folgte ihr, stellte den Drahtfunk ein. Schon war auch Kutschke zur Stelle, krümmte sich, Bumskiepe im Nacken, auf dem Hocker, lauschte den monotonen Durchsagen, ein Goldfasan im schlichten Kellerkleid, dazu ausersehen, dem Wendepunkt Kaiser’schen Schicksals beizuwohnen. Geduckt, gläubig bis zum Eidsieg, neuerdings unfähig, Sätze zu Ende zu sprechen.
    Stille. Nur der Drahtfunk tickte. Die schwarze Katze strich um Großmutters Knie. Sie nahm sie hoch. Die Stützbalken warfen dunkle Schattenstreifen. »Damals in Dubberow«, sagte Großmutter, »musste Großvater auch oft nachts aufstehen, wenn ein Zug durchfuhr. Aber es war doch etwas anderes.«
    Kutschke fühlte sich verpflichtet, Tröstendes einzuwenden. »Es wird schon nicht …«, murmelte er. »Wissen Sie, wenn der Führer erst …«
    Großmutter scheuchte die Katze von ihrem Schoß und stand auf.
    »Ich habe so ein Gefühl«, sagte sie. »Ich glaube, ich will mal die Hühner wieder in den Stall bringen.«
    Wir versuchten ihr das auszureden. »Lassen Sie doch«, sagte Kutschke. »Sie sind doch im Keller … Wissen Sie …«
    »Er meint, sie sind sicherer«, ergänzte ich.
    Großmutter schlurfte zur Tür. »Wer weiß«, sagte sie.
    »Ich leuchte«, bot Kutschke sich an und sprang auf. Beide gingen hinaus. Ich hörte sie im Heizkeller rumoren. Dann brachten sie die Hühner in den Stall.
    Als sie zurückkamen, ging es los. Unbeirrt waren die B 17 ihren Kurs geflogen, bis zum Ziel neuerdings begleitet von Jägern mit Zusatztanks, für größere Reichweite. Nur selten gelang es unseren Me 109, diesen waffenstarrenden Ring zu sprengen, sich an die Bomber heranzumachen, die Fliegenden Festungen zu vernichten, bevor sie ihr Ziel erreichten.
    Ihr Ziel? Gustav Gustav zwei! Natürlich Gustav Gustav zwei.
    Der Drahtfunk tickte. Kutschke, Bumskiepe in der Stirn, umkreiste den Volksempfänger. Nach Gustav zwei keine Ansage mehr. Woraus zu schließen war, dass in diesen Minuten die Moskitos Bomberziele mit Leuchtmarkierungen absteckten, den Tannenbäumen, wie die vom Himmel rieselnden Kaskaden genannt wurden. Der Bomberpulk musste in wenigen Minuten sein Ziel erreichen.
    Stille. Einige Abschüsse der Flak. Dann schmissen mindestens siebzig Bomber einen Teppich. Bombenteppich bedeutete, dass keine Bombe mehr als hundert Meter von der nächsten entfernt fiel. Im entsprechenden Planquadrat wurde garantiert, dass kein Stein auf dem anderen blieb. »Sie schmeißen einen Teppich«, sagte Kutschke. Dann riss das Krachen ab, und wir dachten, alles sei vorbei, als sie noch einen einzelnen Badeofen schmissen. Ein lang gezogener Heuler, eine gewaltige Luftdruckwelle, die uns von den Stühlen warf. Das Krachen der Explosion hörten wir gar nicht mehr. Großmutter, der voll ausgerüstete Kutschkeund ich lagen in einem Knäuel auf dem Boden. Mörtelstaub füllte den Raum, Putzbrocken, Holz- und Mauerteile fielen auf uns. Der ätzende Staub drang uns in die Münder. Der Keller hatte sich einen Augenblick lang gehoben, wie bei einem Erdbeben, und! war dann in seine ursprüngliche Lage zurückgesunken.
    Wieder Stille, spürbar. Nur die Holzstreben der Abstützung knackten. Dazwischen ein paar letzte Flakschüsse. Einzelfeuer. Dröhnen der abfliegenden Bomberstaffeln.
    An der Decke schwankte die Glühbirne im Staubregen hin und her. Beim flackernden, matt gewordenen Licht sahen wir einander an. Wir waren weiß überpudert. Kutschke, vorher noch in den

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