Muckefuck
behinderte, geduldet, das Rettungswerk, dessen Ausgang ungewiss war.
Erst im Morgengrauen stießen sie auf den, wenigstens in dieser Stelle, unversehrt gebliebenen Beton der Kellerdecke. »Ruhe«, rief einer der Grauvermummten. »Wir geben Klopfzeichen!«
Minnamartha kreiste um Ingrid und ihre Helfer.
Nach dieser hausvernichtenden Bombennacht wurde Laube vierzehn wieder zum Hauptwohnsitz der Kaisers aufgewertet. Wir waren schließlich, Großmutter mit der Katze auf dem Arm voran, aus einer in die Kellerdecke gebrochenen Offnung ans Tageslicht geklettert, staubbedeckt zwar, aber heil. Minnamartha hatte uns mit Schluchzen und Umarmungen empfangen. Auch Kutschke, Stahlhelm in der Hand, bekam sein Teil ab, während Ingrid und ihre Helfer stumm danebenstanden. Ede war, inzwischen verständigt, von seiner Bereitschaftsstation eingetroffen und betrachtete die Reste seines Eigenheims, Typ 2 A. Natürlich machte 2 A mehr Schutt als 2 B oder 3, dafür war der Keller auch stabiler, was sich in Hinsicht auf unser Überleben als nützlich erwiesen hatte.
Auch die Hühner hatten überlebt. Allerdings verweigerten sie für die nächsten Wochen die Eierproduktion. Im Laufe der Tage gelang es uns, einige nützliche Gegenstände aus dem Keller zu bergen. Plünderer waren allgegenwärtig, und es hieß, ihnen zuvorzukommen. Ingrid, die Unermüdliche, half Großmutter, das unversehrt gebliebene Gemälde Professor Müllers mit dem von hinten sichtbaren nacktenGewitterreiter durch die ramponierte Eigenheimsiedlung zur Kolonie Tausendschön zu tragen. In der Laube bekam das Werk einen Ehrenplatz.
Am vierten Tag grub Ede die Pekingente aus, deren Porzellanschnabel allerdings endgültig verloren war, und am fünften Tag zog ich den unbeschädigten Husarenkrug aus dem Schutt.
Großmutter kochte Kaffee, Muckefuck, nach Vorschrift der U-Bahn-Reklame: Solang’ Idee Kaffee uns fehlt -nimm Koff, dann hast du gut gewählt! Allerdings veredelte sie wegen der außerordentlichen Vorfälle Koff und Kathreiner mit sieben oder acht echten Kaffeebohnen.
Ingrid in ihrem blaugrauen Luftschutzkokon ging mir nicht mehr aus dem Sinn, obwohl sie sich, nach Ausräumung des Kellers, viel zu selten sehen ließ, schlaksig wie immer, mit leichten Rundungen unter dem Pullover.
Ich, Karl Kaiser, gelegentlich noch Menschlein gerufen, streckte mich, bekam leichten Flaum auf der Oberlippe, während ich die Metamorphosen verschiedener Uniformen, Arbeits- und Kampfanzüge durchlief.
Permanenter Einsatz nun, während die riesige Stadt langsam unter Air-Force-Bomben zerbröselte. Wohnblockknacker, General-Purpose-Bomben, Elektronstabbrandbomben, Phosphorkanister. Die achte US-Air-Force-Flotte warf innerhalb einer Stunde fünftausend Tonnen Bomben ins Ziel. Beim Angriff in der Nacht zum 27. Februar 1945 pflasterten über tausend Superfortress und B 27 die Rekordmenge von 8200 Tonnen Bomben auf die Reichshauptstadt.
Nur die Kolonie Tausendschön sparten sie aus. Außer ein paar Phosphorkanistern und Stabbrandbomben, die in die Gärten fielen, blieb die Kolonie eine Oase im Eisenhagel. Ihre Bewohner hockten nachts in den Splittergräben, tagsüber verwandelten sie jene Beete, auf denen einst Nelken dufteten, in Kohlplantagen.
Nur gelegentlich stand Wanda Puvogel noch neben der Riesenpfütze. Persil war übrigens alle.
Der Ortschaft Gaschendorf, in Straßenbahnnähe der Großstadt L. gelegen, mangelt es heute wie je an Bedeutung. Kein Goethe befummelte dort sein Lottchen, kein Kleist setzte sich den preußischen Armeerevolver an die klare Stirn, kein Ludwig van komponierte dort Freude, schöner Götterfunken.
Einziger Vorteil von Gaschendorf war damals, dass es taktisch günstig zwischen Deutschlands größtem Benzinhydrierwerk und einer Panzerfaustfabrik lag. Berühmteste Persönlichkeit des Ortes Gaschendorf war der Postmeister. Seine Tochter hieß Adele.
Diese Adele, einszweiundsechzig groß, mittelblond, stand eines klirrend kalten Februarmorgens an der Hauptstraße und sah zu, wie eine Schar von bleichen, mageren Knaben, teils in Räuberzivil, teils in ausgewachsenen HJ-Uniformen, aus der Vorortbahn torkelte, beladen mit Koffern und Pappschachteln. Vorneweg und hinten je ein fluchender Unteroffizier in Luftwaffenblau, rote Kragenspiegel, den Spruch Gott mit uns auf den Koppelschlössern. Am Ärmel Flaktätigkeitsabzeichen, die Armeepistole Nullacht vom Koppel baumelnd.
Adele stampfte mit den Füßen, in mehrfach geflickten Winterstiefelchen steckten sie, und
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