Muckefuck
erwartet in Hamburg, sondern irgendwo an der Ostseeküste ab.
»Rabumm«, sagte Werner Pethmann, »hier bleiben wir erst mal. Ich habe so ein Gefühl, dass wir noch gar nicht gebraucht werden. Den Arsch mit Griff (er meinte damit die in der Mitte gekniffte Arbeitsdienstschirmmütze) können wir uns ruhig ein bisschen später auf die Birne stülpen.«
»Einverstanden. Wo bleiben wir?«
»Wird sich finden.«
Es war eines jener Seebäder, wie sie mir von den Ferien her vertraut waren, mit Mole, Kurpromenade und Musikpavillon. Nur war alles wie ausgestorben. Ein paar Zivilpersonen, nicht einmal Militär. Die gestrandeten Insassen des Zuges aus Berlin blieben beim Bahnhof, der eine gute Viertelstunde vom Ort ablag, in der Hoffnung, dass es irgendwann weitergehen würde.
Wir stöberten den Bürgermeister auf, der wenig erfreut über unseren Besuch war. Oben kariertes Hemd, unten SA-Hose und braune Stiefel, saß der Gewaltige im Büro verbarrikadiert. Augenscheinlich war sein Beitrag zum Endsieg minimal.
Wir traten ein, ohne zu klopfen, weil das auf einem Schild an der Tür stand, und legten lässig die Hände an die Mützen.
»Heil Hitler, was wollt ihr?«
Wieder einer, der gleich per du mit uns sein wollte. »Wir können nicht weiter. Wir brauchen Stempel, Unterkunft, Verpflegung für ein bis zwei Tage.«
Die Sache war ihm entschieden unheimlich. Er prüfte unsere Papiere. »Unterkunft ist schlecht. Morgen machen zwei Minensucher hier fest. Alle Zimmer sind requiriert.«
»Vielleicht geht morgen ein Zug. Also für eine Nacht.«
»Für eine Nacht. Gut.«
Wir zogen ab mit Lebensmittelmarken (Reisemarken) für zwei Tage, gestempelten Marschbefehlen und der vom Bürgermeister eigenhändig geschriebenen Begründung: »Unterbrechung wegen Zugunterbrechung.«
»Ein schöner Unterbrecherheini«, sagte Werner. »So ein Etappenschwein. Der Parteibonze hat sich doch sicher den ganzen Krieg über hier rumgedrückt.«
Der Quartierschein, ebenfalls vom Bürgermeister ausgestellt, öffnete uns die Tür einer Pension, die von einer missmutigen, aber schönen Kriegerwitwe geleitet wurde. Das Bild des Gefallenen stand im Flur auf der Anrichte, mit Trauerflor. Wir waren die einzigen Gäste, aber das Zimmer war geheizt, und es gab Warmwasser. Mitten in der Wildnis, zwischen zwei einander näherrückenden Armeen weiß bezogene Betten. Mit Decken, die aus Jugendherbergsbeständen stammen mussten, denn sie trugen an einer Schmalseite den uns aus Pimpftagen vertrauten Aufdruck Fußende.
»Dem Mann, der diese Weisheit ausklamüserte, wurde kein Denkmal gesetzt«, philosophierte Werner Pethmann. »Dabei hätte ich ihn gerne kennengelernt. Er hat Millionen junger Menschen davor bewahrt, den Käsegestank von den Füßen anderer Leute unter der Nase zu haben. Trotzdem möchte ich gerne wissen, warum ließ er Fußende draufdrucken und nicht Kopfende ? Dann müsste man nicht gleich an Käse denken.«
»Sicher war’s ein Herbergsvater, dem der Gestank von Wandervögelfüßen so in der Nase wühlte, dass ihm Kopfende gar nicht mehr einfiel.«
»Bestimmt. Ein Hoch dem braven Mann. Wir wollen seiner gedenken, uns besaufen und die Wirtin pelzen.«
»Das lass lieber. Sonst gibt sie uns Decken mit zwei Fußenden.«
Wir schliefen in den Tag hinein, müde nach dieser Fahrt durch die Nacht mit dem feurigen Elias. Die Kriegerwitwe rumorte im Haus herum. Sie hatte zwei wohlgenährte Katzen, die sich in einem leeren Zimmer balgten und Schreie ausstießen. Draußen war das Meer, dunkelgrau, bleiern. Düstere Wolken wälzten sich darüber hin. Von den erwarteten Minensuchbooten keine Spur. Auch kein anderes Schiff oder Boot war zu sehen. Nur Meer, verlassener Strand, eine Mole ohne Menschen.
Auch Werner Pethmann schaute hinaus. »Hier wird man ja brägenklütrig«, sagte er. »Schauen wir uns an, was das Kaff zu bieten hat.«
In einem kleinen Gasthof, dem einzigen, der geöffnet hatte, aßen wir Stammgericht, markenfrei. Am Nebentisch saßen zwei Arbeitsmaiden, ein bisschen pummelig, ein paar Pickelchen auf der Stirn. Wir quatschten sie an und luden sie zu Dünnbier ein, das ohne Marken, ohne Bezugsschein, ohne Vergnügungssteuer ausgeschenkt wurde, von einer Wirtin. Überall waren ja die Männer an der Front. Außer Parteibonzen, Heldenklaus und den üblichen Etappenhengsten.
Die Mädchen hießen Lilo und Erika und wollten auch nach Norden, in ein Lager bei Niebüll, fast an der dänischen Grenze. »Es hat zwar wenig Sinn«, meinte Lilo,
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