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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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gestoßen. Wir erstarrten. Friedrich stöhnte und räusperte sich. Dann hörten wir wieder seine gleichmäßigen Atemzüge. Gigi lächelte.
    Die VDA-Kerze brannte nieder, flackerte noch ein paarmal, Friedrichs Schatten an die Wand werfend. Verlöschte. Nur die Lampe auf der Kommode verbreitete noch ihren Vierzigwattschein, kaum den Schatten unter dem Tisch und daneben aufhellend, in dem wir lagen. Plötzlich zog Gigi ihren Büstenhalter wieder runter. »Geh jetzt«, flüsterte sie. »Geh jetzt.«
    Am nächsten Morgen stapfte ich wieder zum Wehrkreiskommando.
    Im Kopf Gigi. Gigi, das magere Mädchen unserer Kinderspiele, die Zärtliche unter dem Tisch, mit dem schnarchenden, kriegsversehrten Friedrich im Sessel, mit dem dudelnden Volksempfänger.
    Gigi, das schmale Mädchen, mit eckigen Hüftknochen, den Taubeneibrüsten und den feuerroten Haaren. Gigi, die nach Mandeln duftete.
    Minnamartha hatte natürlich gezetert am nächsten Morgen: »Junge, wo bleibst du nur, die halbe Nacht! Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Es hätte doch Alarm geben können.«
    Auf dem Wehrkreiskommando erwartete mich eine Überraschung: »Sie rücken ein«, sagte der Unteroffizier, der sonst meine Papiere stempelte. »Hier ist Ihr Marschbefehl. RAD-Felddivision, Standort Husum, Meldung innerhalb achtundvierzig Stunden. Heute Abend geht ein Zugnach Hamburg. Acht Uhr, falls er geht. Nehmen Sie den. Sonst schaffen Sie es nicht.«
    RAD-Felddivision! Arbeitsdienst! Die Abwandlung jener Westerwald-Liedzeile fiel mir ein, die wir oft aus Quatsch gesungen hatten:
    Fünfundzwanzig Pfennig ist der Reinverdienst,
ein jeder muss zum Arbeitsdienst …
    Ich ging nach Hause, an Gigis Laube vorbei. Sie war nicht da und kam auch abends erst spät zurück. »Ich richte es ihr aus«, sagte Friedrich. »Ihr seht euch dann wohl nicht mehr.«
    Nein, dann sahen wir uns wohl nicht mehr.
    Bei uns zu Hause gab es ein Riesenpalaver. Ede wurde verständigt und war bald mit dem Fahrrad da.
    »Wenn der Junge nun dahinfährt, was da alles passieren kann«, rief Minnamartha. »Bis jetzt hat er alles überlebt. Und nun das.« Sie lief in der Küche hin und her. Plötzlich wies sie auf die Falltür im Fußboden der angrenzenden Veranda. »Ede, wir können ihn im Keller verstecken.«
    »Ich glaube, es ist das Beste, wenn er fährt«, sagte Ede.
    »Fährt? Wer weiß, wie weit die Engländer schon vorgestoßen sind. Und da schickst du dein Kind quer durch Deutschland. Bei den Luftangriffen.«
    Ede lächelte. »So groß ist Deutschland ja nicht mehr.«
    Großmutter wirtschaftete am Herd, auf dessen hinterer Kachelkante immer noch die dreibeinige schwarze Katze thronte. »Nun esst man mittag«, sagte sie. »Ich habe ein Huhn geschlachtet.«
    Unter heftigen weiteren Diskussionen verzehrten wir eine unserer Eierlegerinnen, Marke Leghorn. Viel warnicht dran, bei der Futterknappheit erzeugten wir höchstens Suppenhühner, dritte Güteklasse.
    Minnamartha war dafür, dass ich blieb, Ede, dass ich fuhr. Ich war dafür, dass ich blieb. Wegen Gigi. Andererseits kannte ich die Folgen von Befehlsverweigerung. In diesem Stadium des Krieges waren Kettenhunde und ein Haufen von Heldenklaus und Kriegsverlängerern schnell dabei, einem mit der Null-Acht ein Loch in den Schädel zu pusten.
    »Ich fahre«, sagte ich.
    »Ohgottohgott«, rief Minnamartha.
    »Recht so«, meinte Ede.
    Großmutter nuschelte: »Wenn der Himmel einstürzt, sind sowieso alle Spatzen tot.«
    Kleines Marschgepäck also, die alte Flakhelferuniform an. Wehrpass, Luftwaffenhelferentlassungsschein, Marschbefehl in die Brusttasche.
    Am Bahnhof stand Werner Pethmann. »Rabumm«, sagte er. »Du auch?«
    »Du auch?«
    Werner Pethmann rülpste. »Die anderen werden wir wohl auch noch treffen. Da scheißt der Hund ins Feuerzeug.«
    Dieser Spruch entstammte dem Nachlass von Unteroffizier Niedlich. Er erwies sich als gerade ausreichend kräftig.
    Eine Ruine von Zug rollte an, die Waggons hatten wahrscheinlich schon siebzig-einundsiebzig Blüchers Linieninfanteristen zum Rhein, zum deutschen Rhein gekarrt. Alles vierter Klasse, die es eigentlich gar nicht mehr gab. Mit diesem Zug zottelten wir, in eisiger Nacht und wieder ohne Scheiben, durch düstere Kiefernwälder und noch düsterere Landstädtchen nach Norden, ab und zu Funkenregen versprühend, wenn der Heizer Braunkohle nachlegte.
    Der feurige Elias schlug ein paar Haken, rangierte auf finsteren Stationen um und setzte uns am nächsten Morgen, frontlagebedingt, nicht wie

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