Muckefuck
»aber wenn sie uns beim Bummeln schnappen, kann es unangenehm werden.«
»Hier scheint es nicht einmal Kettenhunde zu geben.«
»Abwarten und Tee trinken.«
Erika meinte: »Morgen früh soll ein Zug gehen. Allerdings schon um sechs. Wenn es euch recht ist, können wir ja alle zusammen weiterfahren.«
Der Nachmittag und der Abend wurden gemütlich. Wir nahmen die Arbeitsmaiden mit in unsere Pension. Widerwillig rückte die Kriegerwitwe eine Flasche Köhm heraus. Wir luden sie ein, mit uns zu trinken, aber sie machte treudeutsche Kulleraugen, reihte uns wahrscheinlich in die Kategorie junger HJ-Lustmolche ein und protestierte schwach, als wir Erika und Lilo mit ins Zimmer nahmen: »Euer Quartierschein gilt gar nicht mehr.«
»Darauf scheißen wir«, sagte Werner.
Im Lauf der nächsten Stunden zog Werner sein gesamtes Repertoire ab. Er imitierte Heesters, Goebbels und Hans Albers, sang Lili Marleen wie Lale Andersen. Besonderen Erfolg hatte er mit dem schönen Lied: Ja, das kommt, das kommt vom sich verstecken – mit dem wilden Heinrich hinter Hecken. – So viel Erfolg allerdings auch nicht, dass die beiden Pummelchen ihn an die Bluse gelassen hätten. Wahrscheinlich hatten sie der Partei geschworen, den Krieg als Jungfrauen zu beenden. Nicht mal der Köhm lockerte ihre Moral.
Es wurde dunkel. Wir schmissen die leere Schnapsflasche aus dem Fenster, in die Buchsbaumrabatten der Kriegerwitwe. Lilo und Erika dampften ab. Sie wohnten in dem Gasthof, in dem wir Stammgericht gegessen hatten.
»Auch gut«, meinte Werner. »Bei denen braucht man ja einen Büchsenöffner. Huuuhhh! Rabumm! Wo ist die Kriegerwitwe? Ich will sie fressen!«
»Sie wird dir eins mit der Bratpfanne auf den Deetz geben!«
Im Haus balgten sich immer noch die Katzen.
Am nächsten Morgen falteten wir ordentlich die Wolldecken der Pension, Aufschrift Fußende lesbar nach oben. Am Bahnhof standen die beiden Maiden, gebeugt von schweren Rucksäcken, aber sie schauten mit klaren Blitzeaugen in den frischen Morgen, wie auf einem Kalenderblatt der NS-Frauenschaft.
Rings um uns versammelten sich weitere Reiseberechtigte, Hamsterer, Marschbefehlinhaber und Flüchtlinge, manche mit Pyramiden von Gepäck, andere ohne irgendetwas oder einen kleinen Pappkarton oder Koffer zwischen die Beine gestellt. Eine museumsreife Küstenbahn dampfte heran, wir quetschten uns in ein Abteil. Mit Lilo, Erika und sechs Marineinfanteristen waren wir zusammengepfercht. Die Mariner schleppten allerlei Kisten mit Waffen und Munition mit, so blieb nicht viel Platz.
Der Zug fuhr ab. Dünen, Heidekraut, Wälder. Manchmal ein kurzer Blick auf das Meer. An den Stationen Menschen, die sich in den längst überfüllten Zug drängelten. Und immer noch der bedeckte Himmel, diese grauen Wolken, die sich über die Landschaft wälzten. Irgendwann am Abend verließen wir Lilo und Erika, stiegen auf einen Lastwagen, der uns weiter in die düstere, nach Kiefern duftende Landschaft karrte. Dann, plötzlich, ein anderer Geruch: die Nordsee. Wir waren fast wieder am Meer. Noch zehn Minuten Fußmarsch, ein hölzernes Lagertor. Wir waren da. Zeigten unsere Marschbefehle. Wurden gerügt wegen zu späten Eintreffens. Ein Truppführer geleitete uns über einen stockdunklen Appellplatz zu einer Baracke. Wir stießen die Tür auf. Lautes Johlen! »Manometer«, sagte Werner Pethmann, »die sind wirklich alle da!«
Es stimmte. Alle ehemaligen Luftwaffenhelfer und SS-Aspiranten wider Willen waren hier, im nördlichsten Zipfel des Landes, versammelt. Unergründliche Maßnahmen zuständiger Heeresämter hatten uns damals die Entlassung verschafft. Das Bündel Papiere musste geschlossen auf dem Tisch eines Etappenheinis gelandet sein, dem einfiel, dass es jetzt für einige Knaben an der Zeit sei, den vorgeschriebenen Arbeitsdienst abzuleisten: Der Reichsarbeitsdienst ist Ehrendienst am deutschen Volke. Da wir es gewohnt waren, Befehlen Folge zu leisten, saßen wir nun vollzählig in dieser Baracke. Pethmann und ich waren die Letzten. Alle anderen hingen schon seit Tagen hier herum. Am nächsten Morgen empfingen wir Arsch mit Griff , Uniform, Drillich, dänische Karabiner mit zwanzig Schuss Munition. Und: Spaten! Stolz und Symbol des Arbeitsmannes: »Bei den genormten Spaten des RAD hat das Blatt eine rechteckige Form mit abgerundeter, angeschärfter Schneide. Der Stiel ist aus Eschenholz, der T-Griff ist nicht durchgezapft, sondern durch Holznagel und Lochzapfen verbunden. Die Griffhand fasst den
Weitere Kostenlose Bücher