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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Tango, was komisch aussah, weil sie sehr groß war und Millie doch so klein.
    Millie war in seinem Element. Auf dem Podium der Kapelle stand vorn, für alle sichtbar, Millies Sack mit den Pokalen. Die Musikknaben tranken mit, auch sie waren Kavalleristen, wie sich herausstellte, und spielten ehrenamtlich.Millie zur Freude. »Mann, zieh’n die Schnulzen ab. Dufte, wat? Jungs, jetzt mal ›was macht der Maia im Himalaja‹.« Das war der neueste Hit. Soldatensender Belgrad. Die Kapelle fing sofort mit Maia an. Das Publikum legte eine kesse Sohle aufs Parkett. George stellte zwanzig Gläser auf die Theke und fuhr mit der vollen Flasche, Hals nach unten, darüber hin, bis alle Gläser voll waren. Er beherrschte dieses System so vollendet, dass die Theke trocken blieb.
    Wie viele Stunden das Fest dauerte, weiß ich nicht. Ab und zu brach jemand zusammen, ich auch, und wurde ins Hinterzimmer geschleift, wo merkwürdigerweise ein paar Stockbetten standen. Vielleicht war da ein Luftschutzkeller, wir waren ja, Millie behauptete es wenigstens, »zehntausend Millimeter unter der Erde«. Als ich, mir schienen Wochen vergangen, wieder einmal von einem Kurzschlaf zurückkam, spielte die Kapelle Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!
    Millie, der Zwerg, ritt auf einer fast nackten, ziemlich dicken Dame, die auf allen Vieren über die Tanzfläche kroch. Mit ernsten Gesichtern standen Uniformierte und Zivilisten Spalier, in der Hand Champagnerflaschen und Sektkelche.
    Pause der Musik. Millie schrie: »Achtung! gebt – Feuer!« Alle rissen die Champagnerflaschen hoch, mit vielfachem Knall fuhren die Pfropfen heraus, knallten gegen die Decke, der Champagner schäumte und schoss in die Gläser. Der Trompeter der Kapelle blies den Zapfenstreich. Millie grüßte nach allen Seiten, bekam ein Glas Champagner gereicht, tränkte sein Pferd , das dicke Mädchen, deren Schultern von verspritztem Schampus nass glänzten. Dann machte Millie selbst einen langen Schluck, fiel von dem dicken Mädchen, und blieb auf dem Parkett liegen.
    Das fast nackte Mädchen stand auf, nahm ein anderesGlas und trank. Es war jetzt still. »Mann, das war mal ein Bumsfest«, sagte das Mädchen.
    Nach ein paar Stunden kam Millie, den ein paar Kameraden inzwischen ins Bett transportiert hatten, wieder zu sich und fragte: »Wo zum Himmelarschundzwirn sind meine Rennpokale?« Aber die hatte George schon abtransportiert. Eine alte Frau fuhr mit einem Staubsauger über den Plüschteppich der Bar. Millie bestand darauf, dass wir Rühreier haben müssten. Die Frau erbarmte sich, machte Rühreier. Eine halbe Flasche Champagner fand sich auch noch. Wir tranken sie zu den Rühreiern.
    Aus dem Dämmerlicht der Bar traten wir ans Tageslicht. »Mann«, sagte Millie. »Heute kann ich keinen Pferdeschwanz von einer pommerschen Möse unterscheiden.«
    Fast einsam war es jetzt in der Kolonie Tausendschön. Buseberg mit seiner Holzhand saß allein in der Laube. Frau Buseberg leistete Dienst als Straßenbahnschaffnerin und kam erst abends spät nach Hause. Harry absolvierte in Neuruppin eine Ausbildung als Panzerfahrer. Häschen, Marie, Irmchen und die anderen Mädchen waren nicht mehr da. Nur Ingrid sah ich manchmal, bevor sie nach Westen abdampfte, und ihre Freundin Gigi, die immer noch spindeldürr war und deshalb ihren Spitznamen Stacks weiter zu Recht trug. Eine etwas fantasievolle BDM-Uniform umflatterte Gigi, sie trug eine ukrainische Trachtenbluse – Beuteware – unter der Strickjacke. Dazu lagen ihre Haare unzeitgemäß in Bubikopfschnitt am Kopf an, mit kessen Schnecken rechts und links, wie Greta Garbo, nur rothaarig. Braun und zerkratzt ragten ihre dünnen Beine unter dem Rock hervor, ungeheuer lang. Hoher Wasserfall nannte Skagerrak-Buseberg das.
    Stacks und ich umkreisten einander etwas scheu.
    »Wie geht’s?«
    »Gut. Und dir?«
    »Auch gut.«
    »Na, dann.«
    »Na, dann.«
    Das waren unsere erschöpfendsten Dialoge. Gigi war viel beschäftigt, den letzten Winter durch hatte sie Wollsachen und Skier für die Ostfrontkämpfer gesammelt, jetzt zählte sie den Ertrag der letzten NSV-Sammlung aus, und zwischendurch machte sie Luftschutzdienst. Wie Ingrid, die damals Großmutter, Kutschke, die schwarze Katze und mich ausgegraben hatte.
    Gigi lebte jetzt mit ihrem Bruder Friedrich in der Laube, dessen eines Bein die Amerikaner arg demoliert hatten. Er ging an Krücken und hatte unbegrenzt Heimaturlaub. Gigis Vater war an der Ostfront, ihre Mutter im Augenblick mit

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