Mucksmäuschentot
verabschiedete. Seither hatte ich nichts mehr von ihm gehört.
Die Eigentumsübertragung ging ungewöhnlich schnell, und so konnten wir Ende Januar einziehen. Es war einer jener psychotischen Wintertage, an denen der Himmel gerade noch voller finsterer Wolken hängt und gleich darauf die Sonne strahlt, als wäre der Frühling gekommen – worauf sie wieder von schaurigen Wolken vertrieben wird, die scharfen Wind und kalten Regen mit sich bringen.
Die Umzugsleute kauten Kaugummi, stanken nach Schweiß und trampelten in ihren schmutzigen Stiefeln durchs ganze Haus. Sie ließen aufdringliche Bemerkungen fallen, wie durstig sie von der Arbeit geworden seien und wie gut ein »Tässchen Tee« jetzt täte. Gehorsam brachte Mum ein Tablett Tee mit Milch und gab drei oder vier Stück Zucker hinein, so wie sie es wünschten, und dann saßen sie auf den Umzugskartons, die sie eigentlich hätten schleppen sollen, tranken und rauchten. Einer bemerkte, wie Mum die hässliche Schramme betrachtete, die sie am Klavier hinterlassen hatten, und rief fröhlich: »Das waren wir nicht, Schätzchen. Das war schon so.« Sie huschte ins Haus
(Mäuse gehen Konfrontationen aus dem Weg)
, worauf alle herzlich lachten.
Sie drängten sie so lange, bis sie bar bezahlte – einschließlich der halben Stunde, in der sie ihren Tee getrunken und ihren »vornehmen« Akzent nachgeahmt hatten. Dann endlich fuhren sie ab und ließen die Zigarettenkippen in den Blattachseln der Blumen hängen.
Ich bereute es nicht, das luxuriöse Haus in der Stadt, in dem ich fast mein ganzes Leben verbracht hatte, gegen den bescheidenen Komfort von Honeysuckle Cottage einzutauschen. Nachdem die Scheidung eingereicht worden war, hatte ich es nicht mehr als mein Zuhause empfunden. Es wurde zum
ehelichen Heim
– einem wertvollen Besitz, den die Anwälte auf beiden Seiten wie zwei geschickte Schachspieler an sich bringen wollten. Ein
eheliches Heim
kann nie ein glückliches Zuhause sein.
Es barg zu viele Erinnerungen – gute und schlechte. Ich war mir nicht sicher, welche am schmerzlichsten waren: wie sich mein Dad als Weihnachtsmann verkleidet hatte, als ich sieben war, und mir mit sanften Händen einen zitternden, kleinen Goldhamster überreicht hatte; wie mein Vater sieben Jahre später in betrunkenem Zustand die Haustür eingetreten hatte, weil ich mich weigerte, das Wochenende wie geplant mit ihm zu verbringen; der fünfzehnte Hochzeitstag meiner Eltern, an dem sie Wange an Wange und vor den Augen ihrer Freunde im Wohnzimmer zu Eric Claptons »Wonderful Tonight« getanzt hatten; wie mein Dad meine Mutter drei Jahre später so heftig von sich gestoßen hatte, dass sie rücklings zu Boden stürzte und sich einen Finger brach.
In ebendiesem Wohnzimmer …
Es gab noch einen Grund, aus dem ich erleichtert war, das
eheliche Heim
zu verlassen, auch wenn ich ihn mir ungern eingestand. Es war die Versuchung, meinen Dad weiterhin zu lieben. So abscheulich er Mum auch behandelt hatte und so sehr ich auch versucht hatte, ihn schlimmer als schlimm darzustellen, war die Bindung an ihn doch ungeheuer stark. Alles im Haus erinnerte mich an seine andere Seite, seine Freundlichkeit und den Spaß, den wir zusammen gehabt hatten. Da waren das Baumhaus in der Blutbuche, das er mir gebaut hatte, als ich sechs oder sieben war; die wunderschönen Bücherregale, die er in meinem Zimmer aufgestellt hatte, als ich auf die weiterführende Schule kam, und die ledergebundene Ausgabe von Kinderbuchklassikern, die er mir aus London mitgebracht hatte. (Dad hatte mich ermutigt, Schriftstellerin zu werden, es war seine Idee gewesen.) In der Garage, in der er Sport getrieben hatte und die noch schwach nach seinem Schweiß roch, hing die alte Dartsscheibe, auf der wir unter hysterischem Gelächter »Round the Clock« gespielt hatten.
Die schmerzlichste Erinnerung an meinen Dad stellte sich aber ein, wenn ich in den Spiegel sah – und seine haselnussbraunen Augen zurückblickten. Er war mir nie so nahe gewesen wie Mum, doch hatte es zärtliche Augenblicke gegeben – wenn er mich als kleines Mädchen hoch in die Luft schwang, als wollte er im hellen Sonnenschein durch mich hindurchblicken –, und die waren noch schöner gewesen als mit Mum.
Das hatte ich Mum natürlich nie gesagt, weil es ihr sehr weh getan hätte. Doch solange wir im
ehelichen Heim
lebten, blieb diese verräterische Versuchung bestehen, und wenn Mum und ich aus irgendeinem Grund Streit hatten, wurde sie noch stärker.
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