Mueller hoch Drei
bringen. Hunde sind hier so was von verboten, ich sag’s dir!«
Wie es aussah, duldete sie keinen Widerspruch. Ich fing also Piet Montag ein und band ihn draußen vor dem Café an einen Haken, worauf er jämmerlich zu heulen begann. Als ich zurückkam, sagte Tante Elke: »Und jetzt raus mit der Sprache. Was treibt dich zu mir? Aus dem Hause Müller habe ich ja lange nichts mehr gehört.«
»Okay«, sagte ich. »Ich gebe dir eine Kurzfassung des Geschehens.« Das klang, so fand ich wenigstens, irgendwie mannhaft. »Meine frühere Mutter, deine vormalige Cousine, ist gestern Morgen zusammen mit meinem Ex-Vater in die Karibik abgerauscht. Und zwar für vorläufig immer. Die Herrschaften haben sich nämlich von allem getrennt. Von Haus und Beruf, von mir und sogar von ihren Handys.«
Tante Elke schob ihre Brille in die Stirn. »Donnerwetter! Da interessiert mich aber auch die Langfassung!«
Also schilderte ich ihr umständlich die Katastrophe, aus der mein Leben seit gestern bestand. Piet Montag erwähnte ich kurz, das war ja nicht zu vermeiden, zumal er draußen vor sich hin heulte. Meine vorgebliche Siamschwester, die sich am Nachbartisch schon erkennbar langweilte, erwähnte ich versuchsweise gar nicht. Das misslang allerdings kläglich.
»Donnerwetter!«, wiederholte Tante Elke, dann zeigte sie auf Paula. »Und wer ist die da?«
Ich blieb standhaft. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich irgendein Kaffee-und-Kuchen-Gast.«
»Solche Gäste gibt’s hier nicht.«
»Aber das ist doch ein Café, oder etwa nicht?«
»Ja und nein. Im Wesentlichen ist das hier mein Heilraum. Wie du vielleicht weißt, habe ich jahrelang unter ziemlich elenden Symptomen gelitten.«
»Du meinst die jetzt erstaunlicherweise verschwundene Schniefnase?«
»Richtig.« Und dann erzählte mir Tante Elke eine Kurzfassung ihrer Krankengeschichte. »Bis heute hat kein Arzt herausgefunden, was genau für meinen blöden Schnupfen verantwortlich ist. Wahrscheinlich alles Mögliche. Der Fachausdruck für meine Krankheit lautet Multiple Aversion. Und weil ich mich als Verkäuferin von großen Landmaschinen stundenlang auf Bauernhöfen herumtreiben muss, hat alles Mögliche aus der Natur auch Zeit genug, meine Aversion zu füttern.«
»Ist ja schlimm.«
»Und ob. Ich wollte den Job schon aufgeben. Allerdings bin ich im ganzen Land die einzige Frau in der Branche, und das bringt einem schon gewisse Vorteile.« An dieser Stelle lächelte sie auf eine etwas verschmitzte Art und Weise.
Paula verdrehte derweil die Augen, und Piet Montag sang draußen vor der Glastür wie ein Kinderchor, der von Wespen überfallen wird.
»Glücklicherweise«, fuhr Tante Elke fort, »habe ich per Zufall herausgefunden, was meine Aversion bremsen kann.«
»Auf wackligen Stühlchen vor einer leeren Theke sitzen?« So keck war ich schon wieder geworden. »Oder weiße Schürzchen tragen?«
»Hoppla!« Tante Elke zog eine Augenbraue hoch. »Du hast ja Humor. Natürlich reicht es nicht, dass ich hier sitze, mein Lieber. Aber als dieses Café noch betrieben wurde, haben sie ein Bohnerwachs verwendet, in dem sich etwas befinden muss, das überaus lindernd auf meine Aversion wirkt. Eine Stunde hier sitzen und atmen – und schon kann ich wieder hinaus auf diese Bauernhöfe und den Bauern meine dicken Mähdrescher verkaufen.«
»Aber warum spielst du dann die Bedienung? Lass doch einfach die Tür zumauern. Dann hast du deine Ruhe und kannst hier heilatmen, ohne dich dabei verkleiden zu müssen.«
»Ja, Pech«, sagte Tante Elke. »Kaum hatte ich diesen Laden per Zufall gefunden, da haben sie ihn unter Denkmalschutz gestellt. Genau dort«, sie zeigte auf den Tisch, an dem Paula wegen massiver Langeweile einem Atemstillstand nahe zu sein schien, »genau dort haben sich im Mai 1971 der Maler Siegbert Kaminski und die Tänzerin Iris Graber-Moos kennen und lieben gelernt. Deshalb darf hier auf absehbare Zeit nichts verändert werden. Alle Interessierten müssen freien Zugang haben. Und ich«, dabei tippte sich Tante Elke an die Stirn, »ich muss die Gedenkstätten-Führerin spielen. Das war die Bedingung, sonst hätte ich den Laden nicht bekommen.«
Von dem Kaminski und der Graber-Moos hatte ich natürlich schon gehört. Die beiden waren die einzigen Beinahesuperstars von Neustadt. Er, Kaminski, hatte Bilder gemalt, die einmal für mehr als drei Monate das definitiv Modernste vom Modernen gewesen waren, und sie, die Graber-Moos, hätte beinahe den modernen Tanz revolutioniert,
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