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Mueller hoch Drei

Mueller hoch Drei

Titel: Mueller hoch Drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Spinnen
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fühlte sich an, als würde mir ein Loch in die Stirn gebrannt. Zum Glück fing Piet Montag an zu jammern, er wurde wohl ein bisschen gequetscht, und so ließ Paula endlich von mir ab.
    Aus Notwehr brach ich mein Schweigen. »Hast du«, sagte ich, aber da war die Luft schon wieder weg.
    Zweiter Versuch: »Hast du irgendwelche Beweise dafür, dass wir beide auch nur im Geringsten verwandt sind?«
    »Ach du Süßer«, sagte Paula, und ich dankte allen Göttern, dass außer uns beiden nur der Busfahrer im Bus war. »Schau doch nur!« Sie krempelte den rechten Ärmel meines Sweatshirts hoch, was ich gerne verhindert hätte, und zeigte auf den dunklen Fleck an meinem rechten Oberarm, der ungefähr die Umrisse des Vierten Inkareiches vor der Entdeckung Amerikas hat. Der Fleck ist, wenn ich meinen Eltern glauben darf, eine simple Brandnarbe aus meiner Zeit als Kindergarten-Tollpatsch.
    »Und hier haben wir die perfekte Entsprechung.« Paula krempelte den linken Ärmel ihres Sweatshirts auf. Mir schoss das Blut ins Gesicht. Erstens, weil mir nackte Oberarme von Mädchen immer schon peinlich waren, und zweitens, weil sie auf ihrem auch das Vierte Inkareich hatte, allerdings spiegelverkehrt und, wenn ich es recht betrachtete, in den Grenzen nach der Entdeckung Amerikas. Ich war baff.
    Mit ihrem spitz gefeilten rosafarbenen Zeigefingernagel strich Paula nacheinander an den Grenzen beider Narbenreiche entlang. Mir lief es kalt über den Rücken. »Das ist ja wohl der perfekte Beweis. Genau hier waren wir zwei Hübschen« – sie sagte wirklich »wir zwei Hübschen«! – »bei der Geburt zusammengewachsen.« Sie seufzte übertrieben. »Schöne, schöne Jahre haben wir miteinander verbracht, alles haben wir gemeinsam gemacht!« Sie kicherte. Blümchen pflücken. Von unserem Tellerchen essen. Aus unserem Becherchen trinken. Immer sie rechts und ich links. Oder andersherum, je nachdem von wo man es betrachtete.
    Sie schwelgte noch ein bisschen in der Erinnerung an unsere wunderbaren gemeinsamen Jahre, so dass ich Zeit hatte, meine Argumente zu sammeln. »Nein!«, rief ich endlich.
    Paula schaute mich an, halb verzeihend, halb strafend.
    »Das kann nicht sein. Das ist unmöglich. Das ist wissenschaftlich ausgeschlossen. Siamesische Zwillinge sind immer eineiige Zwillinge. Also entweder zwei Jungen oder zwei Mädchen. Aber niemals ein Junge und ein Mädchen. Niemals! Never!«
    »Ach, du Dummchen! Lass dich mal knuddeln.« Beinahe hätte ich wieder irgendetwas von ihr im Gesicht gehabt, aber geistesgegenwärtig duckte ich mich weg. So bekam Piet Montag meine Nase vor die seine. Er biss zu. Wahrscheinlich meinte er es nett. Es tat trotzdem weh.
    »Du bist vielleicht naiv«, sagte Paula. »Was glaubst du denn, warum man uns so lange zusammengelassen hat? Wäre doch leicht gewesen, uns zu trennen. Schnipp! Das hätte ein Schneider mit der Schere machen können. Aber wir waren doch eine medizinische Sensation. Ein Wunder der Natur! Die berühmten Müller-Balaclava-Zwillinge.«
    »Wieso Balaclava?« Ich hätte mich ohrfeigen können. Was war bloß aus meinem Vorsatz geworden, mit einer Verrückten nicht zu argumentieren? Jetzt war es natürlich zu spät.
    »Das war unser Künstlername.« Paula seufzte wieder. »Den hatte Mama sich ausgedacht. Er klingt so nach Abenteuer, mit einem Hauch von Sehnsucht und Geheimnis. Und ein Geheimnis war es ja auch. Hunderte von Medizinern haben uns untersucht. Professoren haben Bücher über uns geschrieben. Hach, wir hätten ein tolles Leben führen können. Paris, London, Rom, Nizza, New York. Immer im Mittelpunkt des Interesses. Überall rote Teppiche. Für uns natürlich ein bisschen breiter.« Sie kicherte wieder. Und dann sagte sie mit verwandelter, irgendwie schicksalsschwerer, also gewissermaßen dunkelrosa Stimme: »Aber es sollte alles anders kommen.«
    In diesem Moment wurde die Haltestelle Wielandplatz ausgerufen. Und obwohl es mich jetzt interessiert hätte, wie sie diese unmögliche Geschichte zu Ende bringen würde, sagte ich schnell: »Sehr spannend. Aber ich muss hier raus. Bis demnächst!« Dazu griff ich mir Piet Montag von Paulas Schoß. Ich hatte kurz überlegt, ohne ihn zu verschwinden. Aber dieser Weltmeisterin im Lügen wollte ich ihn nicht überlassen; ich war ja schließlich auch für sein Seelenheil verantwortlich.
    »Wo willst du hin?«, rief Paula, als ich, mitsamt Hund und nicht besonders geschickt, über sie hinweg in den Gang kletterte.
    »Zu Tante Elke.« Bei Stress

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