Mueller hoch Drei
Paula wieder ihren Ärmel hoch. Die Narbe war verschwunden. »Filzstift. Geht prima wieder ab.«
»Und woher hast du solche Fotos von mir?« Ich musste mich sehr bemühen, meine Stimme nicht allzu sehr zittern zu lassen.
Da schaltete sich Tante Elke ein. »Paula hat mir alles erzählt. Und bevor du dich weiter aufregst, solltest du dir erst einmal ihre Geschichte anhören. Wenn die stimmt, dann geht es dir, mein lieber Paulemann, wahrscheinlich noch vergleichsweise gut.«
Während sie das sagte, vollzog sich eine merkwürdige Veränderung auf Paulas Gesicht. Bislang hatte meine Schwester, von der rosafarbenen Ausstattung einmal abgesehen, auf mich den Eindruck eines cleveren und gewieften Mädchens gemacht. Mein gewesener Vater hätte sie wahrscheinlich eine »Göre« genannt. Jetzt aber hatte sie plötzlich verblüffende Ähnlichkeit mit den leicht kitschigen Heiligenfiguren, die man in Wallfahrtsorten kaufen kann.
»Bin ich denn würdig zu erfahren, worum es geht?«
Tante Elke meinte, Paula solle doch selbst erzählen, aber die wehrte das mit einer Handbewegung ab.
»Okay«, sagte Tante Elke. »Paula ist damals von Leuten aus Berlin adoptiert worden, die selbst keine Kinder kriegen konnten. Die Wachsmuths. Da hat sie es auch sehr gut gehabt.«
»Sehr«, hauchte Paula dazwischen.
»Aber der Mann ist leider krank geworden und gestorben, und später hat die Frau einen Inder kennengelernt.«
»Doktor Rabindranath Dasgupta«, sagte Paula, und es klang dunkel und schicksalhaft. »Ein sehr gebildeter Herr. Und ein Mann wie Sonnenschein mit einem Herzen aus purem Gold. Außerdem medizinischer Bademeister in leitender Position. Eigentlich wie geschaffen, um mein Stiefadoptivvater zu werden.« Sie verzog das Gesicht. »Nur hat er leider, was mich betrifft, etwas heikle Vorstellungen.«
»Musst du Sari tragen?«, rutschte es mir heraus. »Oder jeden Tag Bollywood-Filme gucken?«
»Paul!«, sagte Tante Elke.
Paula sah mich strafend an. »Du hast keine Ahnung. Dasgupta will, dass ich demnächst heirate. Seinen jüngeren Vetter, einen indischen Börsenmakler aus Patschulistan oder so ähnlich. Dafür bekommt Dasgupta zweihundert fette Rinder, beziehungsweise den Gegenwert in Aktien, und für mich als kleines Extra die Zusicherung, dass ich die Lieblingsfrau seines Vetters werde. Jedenfalls für die nächsten fünf Jahre.«
Ich überlegte. Als Frau eines indischen Börsenmaklers würde meine Schwester vielleicht nicht die schlechteste Figur machen. Ich stellte mir vor, wie sie den Haushalt in Patschulistan allmählich von indisch Gold auf berlinisch Rosa umstellen würde. Ein hübsches Bild. Andererseits sollte man sich im Interesse des Weltfriedens keine so weit reichende Irritation des indischen Subkontinents wünschen. Ohne es zu wollen, musste ich grinsen.
»Was grinst du!«, sagte Paula.
Mir ging ein Sprichwort durch den Kopf: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Schließlich hatte die siamesische Zwillingsgeschichte auch nicht gestimmt. »Ich grinse doch gar nicht.« Dabei bemühte ich mich, das Grinsen aus meinem Gesicht zu bekommen. Doch je mehr ich mich bemühte, desto weniger gelang es.
»Glaubst du mir etwa nicht?« Paula funkelte mich an. »Sag bloß, du Provinzschlafmütze weißt nicht, wie viele Mädchen in Berlin von ihren Vätern zwangsweise verheiratet werden. Da gibt’s schon Polizisten, die sich bloß um solche Fälle kümmern.«
»Jedenfalls ist Paula von zu Hause weggelaufen«, sagte Tante Elke schnell. Dabei machte sie mir irgendwelche Zeichen, die ich allerdings überhaupt nicht verstand.
»Und ausgerechnet zu mir?«
»Kommt mir jetzt auch so vor, als hätte ich da einen Fehler gemacht.« Paula drehte sich mit Schwung zur Seite und schmollte.
Tante Elke machte mir wieder Zeichen, die ich wieder nicht verstand. »Es hat bei Paula zu Hause wohl einen Streit gegeben.« Und dann sagte sie etwas ohne Stimme, das ich ihr hätte vom Mund ablesen müssen. Leider kann ich nichts vom Mund ablesen.
»Hä?«, sagte ich, worauf Tante Elke sich kurz die Haare raufte.
Paula war inzwischen fertig mit Schmollen. »Ich geb’s zu. Das war die mit Abstand blödeste Idee, ausgerechnet meine leiblichen Verwandten zu suchen und um Hilfe zu bitten. Denn was treffe ich hier: weggelaufene Eltern und ein unsolidarisches Weichei von Bruder!« Damit zog sie eines der Kissen hinter meinem Kopf hervor und begann damit auf mich einzuschlagen. Ich nahm ein anderes Kissen und schlug zurück.
In diesem Moment
Weitere Kostenlose Bücher