Mueller und die Tote in der Limmat
senken nach neunzig Minuten Volladrenalin. Vielleicht brauchten sie Motorwohlklang und Dieselbrummen und die Kolbenklopfmelodie nach der Lautstärke und der Feedbackgitarre und dem vielen Schlagzeughämmern, dem Applaus und dem Kreischen und der Begeisterung am Konzert. Vielleicht wollten sie Ruhe in ihre Köpfe pressen, weil zwar erst drittes Datum ihrer Tournee vorbei, aber die Spannung zwischen Sänger Mark Huber gegen den Rest der Band, also alle, sogar Keyboard-Nerd Stefan gab eindeutig eine deutliche Räusper-Äusserung von sich, das heisst: Ruhe finden in Auto auf Jurahügeln. Ohne Mark. Der will nach der letzten Zugabe keinen mehr sehen und fährt nach den Auftritten allein weg und weiter, und man trifft sich erst am nächsten Nachmittag zum Soundcheck in der nächsten Location.
Kurz geologisch: Jura. Sind hier Ketten von circa links unten (Kanton Genf) nach rechts oben (Kanton Zürich) auf Landkarte, egal, welcher Massstab, das heisst von Südwest nach Nordost bogenförmig. Maximal so tausendfünfhundert Meter hoch, meist bewaldet oder beweidet, gelegentlich blanke Felswände, leuchten gelblich im Sonnenschein und schauen aufs platte Mittelland herab und auf die fernen Alpen hinüber. Von Weitem schön, von Nahem und mit Zoomeffekt gross und grün und manchmal richtig schroff, wenn sich ein Bach, du glaubst es kaum, durch den Berg hindurchfrisst , wenn selbiger sich auffältelt , was Millionen von Jahren dauert, menschlich gesehen: ewig. Kaum vorstellbar, aber wir müssen es der Geologie glauben, warum da auf steilen Felswänden Dinosaurierspuren und im Stein Meerestiere versteinert sind. Da glaubst du voll: Die Schweiz ist doch nicht Rimini oder Bondi Beach. Aber war so. Vor langer, langer Zeit. Da erinnert sich keiner mehr selbst. Das machen für uns die Geologen.
Die Landschaft vom Juragebirge bildet das Relief für die Fahrstrecke von Spitfire nach dem Konzertknaller auf der Bieler Seebühne und auch der Seelenlage der Band: im Detail recht unübersichtlich kompliziert, aber eigentlich sehr zu empfehlen. Die landschaftliche Schönheit des Juras bringt Ruhe. Auch nachts, wenn man sie kaum sieht, aber fühlt. Die Route von Biel aus geht so: Zuerst hinten hoch, dann rüber, dann weiter nach hinten, wieder hoch, wieder, weiter, kleines Städtchen (Tavannes), na, wo fahren die denn durch? Vielleicht Detailweg verloren, weil kein GPS . Aber Grobweg stimmt. Und Bellelay und Petit-Val → Châtelat, fast Sornetan, Sapran, hinunter, sanft hinunter und Felsenengpass, musst du gut lenken, und linksherum, Hof von Pfister und Hund Luggi, und links Hôtel de la Couronne. Aber es ist dunkel. Sehr dunkel. Denkst du: Sieht man ja nichts trotz Scheinwerfern. Stimmt schon. Gefühlsmässig hat es schon was, das Aufsaugen und Absorbieren des Zusammenspiels des Elementreigens Luft und Stein und Wasser und Holz.
Aber leider auch von Feuer und Benzin, und der Fels ist viel zu nah.
Kurz: Ungefährlich ist die Strecke nicht.
Die Band Spitfire schlingert mit ihrem Auto, nicht nur einmal, obwohl die Strasse trocken ist bei der oberen Einfahrt in die Gorges du Pichoux – eine sehr schöne, abschüssige und enge Schlucht, die genau von Süden nach Norden den Berg durchschneidet. Schmaler Schlitz in hartem Kalkstein. Noch mal, unglaublich. Weiches Bächlein hat sich da durch aufwölbendes Gestein genagt, da wirst du fast philosophisch, dass das möglich ist, weil ist schon fast chinesisch-philosophische Art von Weisheit.
Aber jetzt nicht der Moment für philosophische Komponente. Weil wirkliche Gefahr: Gorges du Pichoux: enge Felsen ragen gefährlich nah und schroffstens an die Strasse heran, schlängelt sich zwischen den Felsen durch in Bögen und Bögelchen mal links, mal rechts, mal wieder … äh, rechts, also unregelmässig und heimtückisch. Vor allem im Dunkeln. Eng und zerklüftet → viele enge Kurven. Schattige Schlucht mit einer Strasse, und Jurassier fahren manchmal wie Formel 1. Aber nicht in dieser Geschichte. Das Fahrzeug von Spitfire gerät auf abschüssiger Strasse ins Schlingern, die Strasse ist zwar trocken, keine Steine oder Splitt auf der Fahrbahn und Eis schon gar nicht, weil ja Hochsommer ist, aber hier in den Gorges du Pichoux ist es zu Ende. Wem die Stunde schlägt. Das Konzert in Delémont, deutsch Delsberg, wäre viertes Tourneedatum gewesen, es bleibt ungespielt, die angebrochene und nach drei Konzerten jäh unterbrochene Tournee ein Erfolg, Sebastian hat sehr viele CD s verkauft. Kein Problem
Weitere Kostenlose Bücher