Mueller und die Tote in der Limmat
Aussersihl» und «Koloss vom Sihlfeld», häufig ist und isst, und immer wenn er isst, stellt er das Telefon ab, damit er in Ruhe essen kann.
Wir wissen: Das Telefon ist aus anderem Grund abgestellt. Weil Bucher Manfred träumt. Eine Erkundungsfahrt durchs Bordelais mit Dr. Brenda Marquardt. Ein Stadtbummel in Venedig mit Dr. Brenda Marquardt. Eine Hafenrundfahrt in Hamburg mit Dr. Brenda Marquardt. Ja, sogar eine Shoppingreise nach New York mit Dr. Brenda Marquardt. Such dir was aus. Mit ihr ginge er sogar in einen Kleiderladen.
Und der Müller eilt erfolglos durch die Gluthitze zum «Krokodil», weil Bucher Manfred nicht da ist. Schon seltsam. Und der Müller zurück vom «Krokodil» wieder die Langstrasse hoch zum Helvetiaplatz. Und wen sieht er da mit einer Riesenpapiertüte vom Coop in der Hand? Und was ist in dieser Tüte? Gemüse und Obst und Vollkornbrot. Und das ist wirklich unerwartet: Bucher Manfred in seiner ganzen 107-Kilogramm-Pracht thront nicht im «Krokodil» hinter einem Berg leerer Muschelschalen und fetter Diner-Trümmer und isst das Mittelmeer leer und nippt an einem trockenen Weissen. So ist es eben nicht, sondern folgendermassen: Schlendert wie ein junges Rehlein flink über den Helvetiaplatz in Richtung Kanzleischulhaus. Bäume, Kiesplatz, Bänke, dort Mittagessen aus der Tüte. So ist Bucher Manfreds Plan. Da können einem schon die Äuglein aus den Höhlen hüpfen, so was von ungewohnt.
Da ist man jahrelang befreundet, gleicher Jahrgang Polizeischule, neunzehn Jahre her, und schon mehr als einmal durch dick und dünn gegangen und dann das. Das Leben ist eine Überraschungstüte. Das Leben ist schon sonderbar.
Darum ruft der Müller, hinterrücks: «Hey, Selleriefreund.»
Und Bucher Manfred dreht sich um: «Kohlkopf.» Und hebt die Tüte hoch. «Du kommst gerade recht. Willst du auch was?»
Der Müller: «Was ist denn mit dir los?»
Bucher: «Ich will weniger Fett und mehr Vitamine.»
Der Müller denkt: Hm.
Der Müller sagt: «Wieso ausgerechnet jetzt diese Idee?»
Bucher Manfred, wegwerfende Handbewegung: «Warum hast du mich gesucht?»
Der Müller erzählt von der zweiten Befragung von Johnny Maurer heute Morgen und von Boulevardzeitungsmusikchef Toby …
«Ihr seid per Du?», fragt Manfred.
«Du weisst ja, wie es in diesen Kreisen zugeht», sagt der Müller, «alle auf Du und Du, aber das hat nichts zu bedeuten.» Abstufungen in der Vertrautheit sind manchmal schon seltsam. Zum Beispiel «He, du Schafseckel», sagt man in Zürich nur zu einem sehr guten Freund. «He, du Arschloch» nur zu sehr, sehr gutem Freund. «Grüezi, Herr Meyer» nur zum allergrössten Feind. Oder – weil latent bedrohlich – zum Steuerbeamten, Hausverwalter, Polizisten, Staatsanwalt → also Bedrohungsgefühl.
Aber Manfred ist von Müllers Ermittlungen unbeeindruckt, sagt: «Johnnys Alibi am Sonntagmorgen um eins ist hieb- und stichfest.»
«Ah, die genaue Tatzeit», stellt der Müller fest.
«Ja, der Autopsie-Bericht von Dr. Brenda Marquardt liegt vor. Ich habe ihn soeben abgeholt», sagt Manfred. Lässt sich aber nichts anmerken.
Müller: «Ein hieb- und stichfestes Alibi von Johnny Maurer? Das ist doch verdächtig.»
Manfred: «Ich hab’s selber überprüft. Vier namentlich Bekannte bestätigen: Er war zur Tatzeit am Konzert in der Roten Fabrik – und hinterher stundenlang an der Bar und am See.»
Und der Müller: «Ja dann. Diese Möglichkeit ist also vom Tisch. Aber Johnny-Hansueli weiss etwas. Der ist nicht ganz sauber, das spüre ich.»
Und Bucher Manfred (sinngemäss): «Wenn du meinst. Wir können ihn in die Zange nehmen. Der Kollege vom Steueramt hat mir Maurers Steuerunterlagen gezeigt. Da kriegt jeder Buchhalter einen Lachanfall.»
Und der Müller: «Und? Was steht sonst Wichtiges im Autopsie-Bericht?»
Und Manfred (sachlich): «Sandra hatte Wasser in der Lunge, ist also ertrunken. Todeszeit in der Nacht von Samstag auf Sonntag, ungefähr ein Uhr, dann lag die Leiche etwa achtunddreissig lange Stunden im Wasser. Besonders interessant: Im Magen fand sich eine hohe Konzentration von K.-o.-Tropfen. Flunitrazepam.»
K.-o.-Tropfen, liebe Leserinnen und Leser, sind eine Substanz, die das Verbrechen gerne verwendet, um seine Opfer vorübergehend ausser Gefecht zu setzen. Einerseits zur Betäubung junger Frauen, vorzugsweise in Disco oder unmittelbar bei Verlassen derselben, zwecks Abtransport und sich an wehrlosem Körper zu vergehen, heisst: Vergewaltigung oder Schändung.
Weitere Kostenlose Bücher