Mueller und die Tote in der Limmat
sein Kopf ist nass (Hitze oder nagendes Gewissen?), Lippen öffnen sich und sagen – sinngemäss zusammengefasst, weil Inhalt, sobald erhärtet, wesentlich und nicht genauer Wortlaut: dass er sich fälschlich beschuldigt hat, weil ihn Mark Huber in die Zange genommen hat, seit Jahren. Mark Huber erpresst ihn schon lange. Hat viel aus ihm herausgepresst. Schätzungsweise achtzigtausend in vier Jahren. Ist viel, gemessen an dem, was hereinkommt.
Aber wie hat er ihn in die Zange geklemmt?
Und nun gesteht Johnny die falschen Abrechnungen, wie er betrügerisch Geld der Bands abgezweigt hat, die Schwarzpressungen, wie er höhere Auflagen gepresst als deklariert hat, wie er Urheberrechtsgelder eingespart hat und wie das alles in seine Tasche floss.
«Ich wollte nicht mehr», sagt er, «ich halte diesen Druck nicht mehr aus. Angelica, Jason-Lars und Kylie-Shawn kosten. Ich weiss nicht, wie Mark von meinen … Geschäften erfahren hat. Er wollte mich zwingen, so weiterzumachen. Ich wollte aussteigen und mich nicht mehr erpressen lassen. Deshalb hat Mark auf mein Küchenfenster geschossen. Deshalb hat er mich an Tobys Hausparty angegriffen.»
Müller sagt: «Wir werden eine Hausdurchsuchung durchführen. Zur Erhärtung brauchen wir Dokumente. Beweise.»
Johnny seufzt. Und denkt an seine Chaosbuchhaltung.
Obige Selbstbezichtigung: ist wahr. (Später erhärtet, jetzt aber protokolliert).
«Wer hat dann Sandra und Spitfire umgebracht?» Der Müller will es nun klipp und klar wissen.
«Weiss ich nicht», sagt Johnny.
«Das weisst du nicht», fragt der Müller mit Laserblick und droht wieder irr auszusehen.
«Nein», sagt Johnny nur.
Grausames Zeitverstreichen wieder.
Grausames Zeitverstreichen.
Aber Johnny bleibt dabei.
«Nein, weiss ich nicht.»
Johnny wird also von Mark Huber erpresst und kann nicht zur Polizei, weil sonst Mark Huber bei der Polizei über ihn auspackt.
Denn Johnnys Delikte sind nicht unbeträchtlich: Irreführung der Staatsgewalt, Falschaussage, Betrug, Urheberrechtsverletzung, Steuerhinterziehung, Verletzung von Zollvorschriften.
Aber warum wollte Johnny diese Morde auf seine Kappe nehmen? Johnny hat keine Erklärung parat. Kann es sich selbst nicht erklären. Weiss es nicht. Johnny ist ganz fahl im Gesicht und erschöpft. Es geht ihm nicht so gut. Vielleicht ist Johnny reif für eine Klinik? Für die schöne alte Klinik auf dem Hügel mit altem Baumbestand? Da kann man ihm vielleicht helfen. Das ist auch ein Polizeiauftrag, glauben Sie nichts Falsches: Die Polizei hilft den Menschen, dass es knallt, du glaubst es kaum, wie die den Menschen helfen.
Aber Johnny sagt: «Das ist alles. Ich will nur noch schlafen, jetzt!»
Johnny Maurers Geständnis von Delikten ist keine Bagatelle. Der Müller kann ihn nicht einfach so laufen lassen und ihn zu einem Bergaufenthalt ins Heilsanatorium schicken. Johnny wird erst einmal mit einer Pritsche im Untersuchungsgefängnis vorliebnehmen müssen. Und prompt steht Müllers Chef vor der Tür, Hauptmann Peter Wunderli (53), der sich wundert, dass der Müller überhaupt da ist. Er schaut ihn streng an und sagt vielbedeutend: «Krankgeschrieben?!», da merkst du, wie auch die Polizei subtil auf der Tastatur der Sprache spielen kann.
Und der Chef sagt: «Ein Psychologe wird bald vorbeikommen, und eine warme Mahlzeit bekommt er auch (Gemüse etwas matschig, aber was willst du: ist kein Fünfsternehotel, sondern Polizeihaus beziehungsweise Untersuchungsgefängnis).»
Aber weil der Müller Beni auf die Anspielung «Krankgeschrieben» nicht reagiert, zuckt der Chef die Schultern und sagt: «Nun ja.» Und schleicht davon. Schleicht, weil es wirklich heiss, heiss, heiss ist, besonders auf der Sonnenseite vom grossen Polizeihaus.
Und der Müller: «Auf Wiedersehen, du Johnny.»
«Auf Wiedersehen, du Müller. Du bist ein guter Kerl.»
«Du im Prinzip auch, es kommt schon alles gut», sagt der Müller, obwohl zwei, drei Jahre Regensdorf könnten es schon werden, kommt aufs Vorstrafenregister an (ist aber blank). Aber Beruhigung ist ernst gemeint, weil der Müller, da kann man sagen, was man will, bei richtig Bösen als scharfer Hund berüchtigt ist, aber Johnny ist einfach ein Galeerensklave des Lebens (Sinnbild): rudert, rudert, rudert und kommt einfach nicht an die Küste heran. Das ist auf Dauer deprimierend, zermürbend. Ergo schiefe Ebene auch ein bisschen verständlich.
Fünfzehn Uhr schon Vernehmungsende. Ziemlich gut.
Aber warum die Morde? Und vor allem:
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