Muenchen - eine Stadt in Biographien
gedacht. Oder hatte der Vater insgeheim dem zurückhaltenden, feinfühligen Sohn die Nachfolge nicht zugetraut?
Nun hatte das Schicksal entschieden: Am Tag, als der Vater starb, wurde Ludwig zum König ausgerufen. Der Enkel des großen Bauherrn Ludwig I., der wegen einer Mesalliance zur Abdankung gezwungen worden war. Ludwig II ., soeben volljährig, Spross einer der größten Familien Europas, der Wittelsbacher, war über Nacht Regent von 4 , 8 Millionen Bürgern in Bayern, einer Gesellschaft im Aufbruch zur Industriegesellschaft, geworden.
DIE BEGEGNUNG MIT WAGNER – EIN BLITZSCHLAG
Drei Jahre zuvor war etwas mit dem jungen Prinzen geschehen, das er sein Leben nicht mehr loswerden sollte. Der 15 -Jährige war zum ersten Mal in der Oper. Von der Musik Richard Wagners wurde er getroffen wie von einem Meteoriten. Wenige Tage nach seiner Inthronisation hat er ihn dann kennengelernt, den kleinen, krummbeinigen Mann mit der großen Aura. In der Person Wagners fand der König, was er zum Überleben brauchte: einen Papa. Er fühlte sich verstanden. Endlich jemand, dem er sich öffnen konnte! Dem großen Tondichter und musikalischen Kopfverdreher Richard Wagner schrieb er: »Einzig geliebter Freund! Mein Erlöser!, mein Gott!, Ich juble vor himmlischem Entzücken, ich rase vor Wonne … nun bin ich glücklich, nicht mehr verlassen in trostloser Öde, da ich den Einzigen in meiner Nähe weiß …«
Wagner war gerade erst angekommen. Am Karfreitag, kurz nach dem Tod von König Max II ., machte er in München Station. Der Komponist war auf der Flucht, weg von Wien, weg von seinen Gläubigern: »… In einem Seitengässchen erblickte ich am Fenster eines Bilderladens … das Bild des jugendlichen Nachfolgers des soeben verschiedenen Monarchen. Mich fesselte die unsägliche Anmut dieser unbegreiflich seelenvollen Züge. Ich seufzte. ›Wäre er nicht König, den möchtest Du wohl kennenlernen‹, sagte ich mir.«
Da waren zwei füreinander bestimmt! Ludwig schmolz dahin in seiner Schwärmerei für diesen Mann und seine Musik. Es heißt, er habe sogar überlegt abzudanken, um ganz mit ihm, für ihn leben zu können. Ludwig bezahlte seine Schulden, beglich Rechnungen über atlasseidene Beinkleider, quartierte ihn in der Nähe seines Schlosses in Berg am Starnberger See ein.
Irgendwann schoss er übers Ziel hinaus: Er forderte von der Stadt München, ihren Bürgern und seiner Familie Finanzmittel an, um ein Opernfestspielhaus mit versenkbarem Orchester und allen Schikanen bauen zu lassen, majestätisch gelegen hoch über dem Isarufer. Dort sollten in prunkvollem Rahmen in Zukunft alle Opern Wagners aufgeführt werden, den Baumeister Gottfried Semper aus Dresden wollte der König dafür anheuern. Der Traum zerplatzte, weder sein Volk noch seine Familie wollten ihm die Gelder bewilligen. Er war im Innersten getroffen, beleidigt, zornig und verzweifelt. Wagners Opern wurden dann trotzdem in München uraufgeführt, im
Nationaltheater
6 ( ▶ F 5 ) : »Tristan und Isolde« ( 1865 ), »Die Meistersinger von Nürnberg« ( 1868 ), »Das Rheingold« ( 1869 ) und »Die Walküre« ( 1870 ). Oft saß Ludwig allein in seiner Königsloge – als einziger Zuschauer.
Er kehrte der Stadt, die ihn hatte abblitzen lassen, den Rücken, mied die Öffentlichkeit und nahm seine Regierungsgeschäfte nur noch sporadisch wahr. Er isolierte sich, floh in die Wälder, ins Gebirge, suchte Trost in der Stille. Sein Schutzpatron Wagner hatte ihn verlassen und war in ein luxuriöses Haus in der Brienner Straße (Einmündung der heutigen Richard-Wagner-Straße) gezogen, zusammen mit seiner Geliebten
Cosima,
der Gattin des Dirigenten Hans von Bülow. Da hatte der König einiges zu verkraften: dass sein väterlicher Freund ihn hintergangen hatte, auch finanziell, war schlimm genug, dass er aber in aller Offenheit in ehebrecherischem Verhältnis lebte, war Sünde und dem katholisch gläubigen Ludwig ein Dorn im Auge.
Trotzdem ließ er ihn nie ganz fallen. Was er für Wagners Forderungen brauchte, nahm er aus der Kabinettskasse. Irgendwann drohte sein Minister
Ludwig von der Pfordten
mit Rücktritt. Der König geriet so unter Druck, dass er nachgab: Wagner musste München verlassen. In München atmete man auf, man war mit dem Komponisten ohnehin nie warm geworden.
Bereits zu seinen Lebzeiten wurde in das Liebesleben des Königs allerlei hineingeheimnist. Noch schlimmer nach seinem Tod. In den Filmen wurden die mageren platonischen Verhältnisse
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