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Münsterland ist abgebrannt

Münsterland ist abgebrannt

Titel: Münsterland ist abgebrannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Kehrer
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über die Türschwelle.
    Vor der Entschlossenheit der jungen Frau wich Helene zurück. Ein entscheidender Fehler, wie sie sofort bemerkte, denn die Besucherin nutzte die Gelegenheit, um die Kabine zu betreten und die Tür hinter sich zu schließen.
    «Verlassen Sie meine Suite!» Helene versuchte, ihre Autorität zurückzugewinnen. Sie brauchte Zeit. Und eine verdammte Strategie, wie sie die Situation in den Griff kriegen sollte.
    Rike steckte ihre rechte Hand in die Umhängetasche. «Setzen Sie sich auf den Sessel.»
    «Sie befinden sich in meiner Kabine», fauchte Helene. «Also benehmen Sie sich gefälligst auch so.»
    Die rechte Hand der Studentin kam wieder zum Vorschein. Und mit ihr eine Pistole, deren Lauf auf Helene zielte.
    «Ich sagte: Setzen Sie sich auf den Sessel.»
    Obwohl das niemand verlangt hatte, hob Helene die Hände. Endlich begriff sie. Warum hatte sie bloß die Warnungen dieses Kommissars aus Münster in den Wind geschlagen? Sie hätte es doch ahnen können: Rike war gar nicht an Frederik interessiert. Sie hatte ihn nur angebaggert, um an Helene heranzukommen. Das blond gefärbte Luder und die beiden maulfaulen Typen, die sie begleiteten, hatten wahrscheinlich auch Carl Benedikt Mergentheim und die Weigolds auf dem Gewissen. Deshalb war das Trio erst in Tromsø an Bord der Albertina gekommen, es hatte ja noch ein paar Morde zu erledigen.
    «Setzen Sie sich.» Rike fuchtelte mit der Waffe. «Oder ich schieße Ihnen eine Kugel in Ihr hübsches Knie.»
    Helene machte ein paar unbeholfene Schritte rückwärts und plumpste auf den Polstersessel. Die Gedankenspirale in ihrem Kopf drehte sich weiter. Was Rike vorhatte, war nicht schwer zu erraten. Nach Mergentheim und Weigold war sie nun an der Reihe. Auf einen harmlosen Ausgang des Überfalls zu hoffen, wäre also naiv. Es gab nur eine Möglichkeit: Sie musste selbst eine Lösung finden.
    Streng dich an, dachte Helene, benutz deine Intelligenz, auf die du immer so stolz bist.
    Das Handy lag auf dem Tisch. Viel zu weit entfernt, um es unbemerkt in die Hand zu nehmen.
    «Ich weiß, wer Sie sind und was Sie beabsichtigen.»
    «Tatsächlich?»
    «Sie wollen mich töten.» Helene staunte über die Gelassenheit, mit der sie den Satz aussprach. «So wie Sie Carl Benedikt Mergentheim, Karin und Christian Weigold getötet haben.»
    Rike sagte nichts.
    «Drei Menschenleben. War es das wert? Ich nehme an, Sie denken, dass die Welt dadurch gerechter geworden ist. Aber das ist sie nicht. Sie haben nur neue Schuld auf alte gehäuft und sich dabei selbst ins Unglück gestürzt.»
    Rike stieß Luft durch die Nase aus. Ein Geräusch zwischen Entrüstung und Belustigung.
    «Ja, wir haben Fehler gemacht», redete Helene weiter. «Ich will gar nichts beschönigen. Wir hätten diese Experimente nicht durchführen dürfen. Und wir hätten darauf dringen müssen, dass die Mosuo an den Gewinnen beteiligt werden. Heute sehe ich das anders als damals. Doch versetzen Sie sich einen Moment in unsere Lage. Wir waren junge Wissenschaftler, die unter extremen Bedingungen in einem kommunistischen Land gearbeitet haben. Man erwartete von uns Erfolge. Um jeden Preis. Und wir wollten selber Erfolge, um das Leben der Menschen zu verbessern. Das hat dazu geführt, dass wir Grenzen überschritten haben, die wir nicht hätten überschreiten dürfen.»
    Helene lächelte traurig. Würde sie sich nicht so gut kennen – sie wäre von ihren eigenen Worten beeindruckt gewesen.
    «Eine schöne Rede», sagte Rike mit beißendem Spott. «Leider erzählen Ihre Taten das Gegenteil. Sie reden wie diese Scheißpolitiker, die behaupten, sie würden etwas für die ärmsten Länder der Welt tun. Dabei geht es ihnen nur darum, Rohstoffe zu sichern und die Menschen auszubeuten. Woher stammt denn Ihr beschissener Reichtum? Womit bezahlen Sie diese Kackkabine hier? Mit Geld, das Ihnen nicht gehört. Das Sie gestohlen haben.»
    «Einverstanden», sagte Helene. Ihr Mund war so trocken, dass ihr das Schlucken schwerfiel. Aber es schien, als sei sie auf dem richtigen Weg. Rike hatte angefangen zu reden. Und wer redete, schoss nicht. «Was in der Vergangenheit falsch war, muss in der Zukunft nicht falsch bleiben. Ich wäre bereit, einen Beitrag zu leisten und einen Teil meines Vermögens für einen guten Zweck zur Verfügung zu stellen.»
    «Sie wollen verhandeln?», fragte Rike.
    Natürlich wollte Helene verhandeln. Um ihr Leben. Ohne mit der Wimper zu zucken, hätte sie dafür eine Unsumme geboten. Zumindest

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