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Münsterland ist abgebrannt

Münsterland ist abgebrannt

Titel: Münsterland ist abgebrannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Kehrer
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jedenfalls noch ein Mensch gewesen und kein Todeskandidat. Die drei blöden Buchstaben lösten eine Gefühlswelle aus, die Vogtländer unter sich zu begraben drohte. Verdammtes Selbstmitleid. Nur jetzt nicht heulen. Nicht vor diesem Kameraauge, das ihn bläulich anstarrte und jede seiner Gefühlsregungen auf Helenes Notebook übertrug.
    «Ich fühle mich auch beschissen.»
    Er hob den Kopf und schaute Helene trotzig in die Augen. Was für ein Unterschied zu seiner eigenen Erscheinung. Helene sah perfekt aus. So attraktiv, wie eine Frau um die fünfzig nur sein konnte. Und so kalt, wie eine erfolgreiche Geschäftsfrau sein musste.
    Helene legte ihre Stirn in Falten. «Bist du krank?»
    «Lungenkrebs. Endstadium.»
    Es dauerte eine knappe Sekunde, bis sie die Antwort verdaut hatte. «Das tut mir leid. Ehrlich.»
    Der Vorschlag, ein Videogespräch zu führen, war von Vogtländer gekommen. Nachdem Helene seine Ausreden nicht akzeptiert und ihn weiter mit SMS bombardiert hatte, war ihm klar geworden, dass er sich ihr nicht entziehen konnte. Und eine Begegnung im Internet schien ihm im Vergleich mit einem leibhaftigen Aufeinandertreffen das geringere Übel zu sein. So redeten sie nun miteinander, wobei er in seinem Haus in Longyearbyen saß und sie in ihrer superteuren Luxuskabine auf dem Fünf-Sterne-Kreuzfahrtschiff in der Barentssee.
    «Von deiner Sorge um mich mal abgesehen, Hel», sagte Vogtländer ironisch. «Du hast doch etwas auf dem Herzen?»
    «Du spielst immer noch den harten Hund, was, Ujo?»
    Wieder stauten sich die Tränen in seinen Augen. Bestimmt lag es an den verfluchten Tabletten, die mit seinem Hormonspiegel Pingpong spielten, dass er heute so sentimental war. Es konnte jedenfalls nicht an dieser Frau liegen, die er vor zwanzig Jahren geliebt hatte und deren Kaltschnäuzigkeit ihm heute mehr als alles andere verdeutlichte, von welchem sinnlosen, unerheblichen Dasein er sich bald verabschieden würde.
    «Komm zur Sache, Hel.»
    «Hast du mitbekommen, dass Chris und Mergentheim ermordet worden sind?»
    Vogtländer nickte. «Die Kripo in Münster hat sogar schon bei mir angerufen.»
    «Offenbar hat es jemand auf Lambert-Pharma abgesehen.»
    «Weißt du was, Hel?» Auf dem kleinen Bildschirmausschnitt, der die Projektion seiner eigenen Kamera zeigte, beobachtete Vogtländer, wie sich in seinem vom Tod gezeichneten Gesicht ein Grinsen abzeichnete. «Ganz kurz habe ich darüber nachgedacht, ob du selbst diese Morde in Auftrag gegeben hast. Immerhin befreien sie dich von zwei lästigen Mitgesellschaftern.»
    «Sei nicht albern, Ujo», sagte Helene mürrisch. «Der Tod der beiden verschafft mir keinerlei Vorteile. Und ich mag zwar kein Engel sein, aber eine Mörderin bin ich auch nicht.»
    «Ja, das habe ich mir dann auch gesagt.»
    «Die Polizei in Münster geht davon aus, dass irgendwelche Ökoterroristen für die Morde verantwortlich sind. Jemand hat der Polizei gesteckt, dass der wirtschaftliche Erfolg von Lambert-Pharma auf
Baba
basiert. Aber noch wissen sie nicht, dass wir in China waren. Und vor allem nicht, was wir dort gemacht haben.»
    Vogtländer dachte an die Mosuo-Frau, die vor seiner Tür gestanden hatte und dann unverrichteter Dinge wieder gefahren war. Und er dachte an die Andeutungen, die dieser Kriminalbeamte Matt bei seinem Anruf aus Longyearbyen gemacht hatte. Wieso wusste er mehr als seine Kollegen in Münster? Oder war das vielleicht gar kein Polizist, sondern einer der Mörder? Auf keinen Fall würde er ihn oder die Mosuo in sein Haus lassen.
    Seltsam, wie er plötzlich an dem letzten Fetzen seines Lebens hing, der noch in ihm steckte.
    «Was ist los, Ujo? Hörst du mir überhaupt zu?»
    «Natürlich», sagte Vogtländer. «Du denkst, dass du deinen Arsch retten kannst?»
    «Meinen und deinen Arsch, Ujo. Du hängst da mit drin.»
    «Ich habe keinen einzigen Euro an
Baba
verdient.»
    Helene lachte gehässig. «Und damit wäschst du deine Hände in Unschuld? Hast du vergessen, dass zwei, wahrscheinlich drei Mosuo-Frauen hopsgegangen sind? Aufgrund der Experimente, die wir
gemeinsam
durchgeführt haben. Zusammen mit unseren chinesischen Freunden.»
    Nein, er hatte es nicht vergessen. Er dachte jeden Tag daran. Bo auch. Im letzten Jahr hatte der Chinese Vogtländer von seinen Albträumen erzählt, die ihm jede Nacht den Schlaf raubten. Der harte Bo. Vor zwanzig Jahren noch ein eiskalter Technokrat, trieb ihn sein schlechtes Gewissen heute zu einer Buß-Fahrt ins Land der Mosuo. Das war das

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