Muensters Fall - Roman
soll es laufen?, dachte Münster und kehrte in sein Zimmer im vierten Stock zurück.
Wahrscheinlich ginge dann alles zum Teufel. Aber war man dorthin nicht sowieso schon unterwegs?
Der Bericht von der Spurensicherung lag eine halbe Stunde später vor. Während er dasaß und zwei einfache Butterbrote unten aus dem Automaten in der Kantine mümmelte, ging Münster die Ergebnisse durch.
Es war keine besonders aufmunternde Lektüre.
Waldemar Leverkuhn war durch mehrere tiefe Messerstiche in Bauch und Hals gestorben. Die genaue Anzahl an Stichen war auf achtundzwanzig festgelegt worden, aber als die letzten zehn, zwölf ausgeführt wurden, war er mit größter Wahrscheinlichkeit bereits tot gewesen.
Irgendwelchen Widerstand hatte er nicht geleistet, und die wahrscheinliche Tatzeit war nunmehr auf den Zeitraum 01.15 — 02.15 Uhr eingegrenzt worden. Wenn man die Aussagen der Ehefrau mit berücksichtigte, also auf 01.15 — 02.00 Uhr, da sie kurz nach zwei Uhr zurückgekommen war.
Zum Zeitpunkt seines Todes trug Waldemar Leverkuhn Hemd, Schlips, Unterhose, Hose sowie Strümpfe, und der Alkoholgehalt im Blut war mit 1,76 Promille angegeben.
Die Mordwaffe war nicht gefunden worden, aber es gab keinen Zweifel, dass es sich dabei um ein kräftiges Messer mit einer ungefähr zwanzig Zentimeter langen Schneide handelte – möglicherweise identisch mit dem Vorlegemesser, das laut Frau Leverkuhn verschwunden war.
Keine Fingerabdrücke oder andere Spuren waren am Tatort gefunden worden, wobei noch bestimmte chemische Analysen
von Textilfasern und anderer Partikel durchgeführt werden mussten.
Das alles war genauestens auf acht dicht beschriebenen Seiten niedergelegt, die Münster zweimal durchlas.
Danach rief er Synn an und sprach mit ihr zehn Minuten lang.
Danach legte er seine Füße auf den Schreibtisch.
Danach schloss er die Augen und versuchte sich auszumalen, welche Maßnahmen Van Veeteren wohl in einer Situation wie dieser getroffen hätte.
Es dauerte nicht lange, die Liste aufzustellen. Er rief den Diensthabenden an und teilte ihm mit, dass er Inspektor Jung und Inspektor Moreno um vier Uhr in seinem Zimmer zu sprechen wünschte.
Danach fuhr er mit dem Fahrstuhl in den Keller und blieb zwei Stunden in der Sauna.
»Schönes Wetter«, sagte Jung.
»Gestern schien die Sonne«, bemerkte Münster.
»Ich meine es ernst«, sagte Jung. »Ich mag diese Regenvorhänge. Dieses äußere Grau bringt einen irgendwie dazu, sich nach innen zu wenden. Auf das Wesentliche zu besinnen, wenn ihr versteht, was ich meine, auf die innere Landschaft.«
Moreno runzelte die Stirn.
»Manchmal«, sagte sie, »manchmal kann sogar ein einfacher Kollege Dinge sagen, die richtig vernünftig klingen. Warst du auf einem Kurs?«
»Auf der Schule des Lebens«, sagte Jung. »Wer fängt an?«
»Ladys First«, sagte Münster. »Ja, übrigens, ich bin ganz deiner Meinung. Das hat was, diese nassen, schwarzen Baumstämme... aber jetzt zur Sache.«
Ewa Moreno schlug ihren Notizblock auf und begann.
»Benjamin Wauters«, sagte sie. »Geboren 1925 in Frigge. Wohnhaft seit 1980 in Maardam. Vorher mal hier, mal dort. Hat sein ganzes Leben lang bei der Eisenbahn gearbeitet, bis zur Pensionierung natürlich. Ein eingefleischter Junggeselle ...
keine Verwandten, zumindest keine, von denen er etwas wissen will. Ein ziemlicher Laberkopf, wenn ich ehrlich bin. Geschwätzig und einsam. Die anderen Alten bei Freddy’s sind sein einziger Umgang, abgesehen von der Katze. Eine Halbangora, wie ich annehme. Ich glaube, ich habe nie eine besser gekämmte Katze gesehen, und ich hatte den Eindruck, die beiden nehmen sogar ihre Mahlzeiten zusammen ein. Die ganze Wohnung ist sehr sauber ... Blumen vor den Fenstern und so.«
»Gestern Abend?«, warf Münster ein.
»Darüber konnte er eigentlich nicht viel sagen«, erklärte Moreno. »Man hat sich offensichtlich was zu essen genehmigt, ausnahmsweise, sonst sitzen sie meistens nur in der Bar. Sie waren auch etwas angetrunken, das gab er zu. Leverkuhn ist unter den Tisch gefallen, und da sahen sie die Zeit zum Aufbruch gekommen. Sie sind sportbegeistert und Spieler, damit hielt er auch nicht hinterm Berg ... ja, das war wohl im Großen und Ganzen alles, aber es hat mich zwei Stunden mit Kaffee und unanständigen Geschichten gekostet.«
»Keine Annahmen hinsichtlich des Mordes?«
»Zumindest keine durchdachten«, sagte Moreno. »Er war überzeugt davon, dass es sich um einen Wahnsinnigen oder einfach
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