Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
schwäbisches Wort und bedeutet so viel wie »wählerisch im Bezug auf Essen«, hat also für die meisten Leute eine leicht negative Konnotation. Dabei war es ja wohl nicht meine Schuld, dass ich von da an Salat nur noch bei Nora aß. Knackig hellgrünen Eisbergsalat, in Plastik verpackt und so sauber, dass er beim Kauen quietschte. Ansonsten mochte ich schließlich alles, was bei uns auf den Tisch kam. Außer Kohlrabi. Und Bohnen. Und Zwiebeln. Und Fenchel. Und Avocados. Und Oliven. Und Schimmelkäse. Und Pilze. Und Blumenkohl. Und Lammfleisch. Und Meeresfrüchte. Und den Fettrand am Schinken. Und der Haut auf dem Pudding. Und Weintrauben nur, wenn sie kernlos waren.
5 Das Müslimädchen baut einen Fernseher
und muss vor den Familienrat. Am Ende
verwandelt es sich in ein Kissen und verliebt
sich in den Bärenmarkenbär.
Seit ein paar Jahren schaffen immer mehr Leute in meinem Bekanntenkreis ihren Fernseher ab. Sie verschenken oder verkaufen ihn, vielleicht verbrennen sie ihn auch in einem Akt der Befreiung und tanzen um ihn herum. Danach sagen sie Sachen wie: »Ich habe auf einmal so viel Zeit! Erst gestern Abend habe ich alle Fotos der letzten zwanzig Jahre sortiert und währenddessen einer alten Schallplatte gelauscht, das war besser als Meditation. Aber vor allem muss ich mir jetzt nicht mehr dauernd diese Scheiße im Fernsehen angucken!«
Ich verstehe das nicht. Es zwingt sie doch niemand dazu, sich Sendungen anzuschauen, die ihnen nicht gefallen. Man kann einen Fernseher ja auch ausmachen. Und zum Beispiel mal die Sterne anschauen, aber das geht offenbar nur, wenn überhaupt kein Fernseher im unmittelbaren Umfeld existiert. Dann sagen sie noch: »Man muss sich ja mal überlegen, dass total viele Leute auf der Welt gar keinen Fernseher haben. Und die sind trotzdem glücklich!« Wahrscheinlich denken sie dabei an die Bewohner des Königreichs Bhutan oder die Naturvölker im Amazonasgebiet, dabei gibt es durchaus auch hierzulande derartige Randgruppen. Ich zum Beispiel war Teil davon.
Zwei Drittel meines Lebens habe ich ohne Fernseher verbracht, und das, obwohl ich im gleichen Jahr geboren wurde wie das Privatfernsehen. Wenn ich davon erzähle, rufen die Leute: »Ach, wir hatten damals in den Achtzigern auch nur drei Programme!« Erkläre ich daraufhin, dass wir nicht drei, sondern gar keine Programme hatten, schweigen sie. Früher was das ähnlich. Wenn ich erzählte, dass ich keinen Fernseher habe, sagten die anderen Kinder: »Ach, ich habe auch keinen eigenen in meinem Zimmer. Wir haben nur den im Wohnzimmer und den kleinen in der Küche.« Ich sagte dann lieber nichts mehr.
Ein Leben ohne Fernseher ist nicht unbedingt besser, aber auch nicht schlechter, vorausgesetzt man hat noch andere Hobbys. Zum Beispiel lesen. Das hatte ich mir schon im Kindergarten selbst beigebracht und wusste deshalb auch nicht so recht, was ich in der Schule eigentlich sollte. (Ich ging dann doch hin, wegen der Vesperpausen und der Schulausflüge.)
Irgendwann hatten auch die Lehrer mitbekommen, dass ihre Schüler die Freizeit vor der Glotze – das Standardpädagogenwort für Fernseher bis in die frühen Neunziger – verbrachten und beschlossen, dieses »neue Medium« im Unterricht zu thematisieren, also mit den Schülern über ihre Lieblingssendungen und ihr Fernsehverhalten zu sprechen. Man wollte mit der Zeit gehen, und sie hatten schließlich auch einen Erziehungsauftrag.
Ich war gerade in der zweiten Klasse und tat seit der Einschulung so, als wäre ich wie alle anderen, was mir mal besser, mal schlechter gelang. Doch jetzt lief ich ernsthaft Gefahr, aufzufliegen! Mein Fernsehverhalten war nämlich folgendes: Einmal in der Woche, am Sonntag, schaute ich bei Nora Die Sendung mit der Maus . Meine Mitschüler hingegen sprachen in der Pause über sprechende Autos, rote Badeanzüge und einen gewissen David Hasselhoff, der irgendwie mit beidem zu tun hatte. Wenn sie sich darüber unterhielten, lachte ich an den richtigen Stellen mit und versuchte, mir alles zu merken. Mitreden, obwohl ich keine Ahnung hatte – darin war ich gut.
Doch nun stand mein Zwangsouting kurz bevor und ich fürchtete um meine Glaubwürdigkeit. Da hatte meine Mutter eine Idee.
»Wir basteln dir deinen eigenen Fernseher«, sagte sie.
»Das hat sonst niemand! Den kannst du mitnehmen und den anderen zeigen.«
Ich überlegte. Etwas zu haben, das sonst niemand hat, das war grundsätzlich schon mal gut. Und selbst gemacht war noch besser. Also bastelten
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