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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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gegen einen Fernseher aussprachen. Das taten sie in den nächsten Jahren noch öfter, denn das Thema war ein Dauerbrenner. Mit einem Dauerverlierer. Als ich mich gerade damit abgefunden hatte, ein Leben ohne Fernseher zu führen – ich war inzwischen 13  – wendete sich das Blatt. Die Diktatoren hatten entdeckt, dass Filme schauen Spaß macht, aber Spaß war kein Argument und außerdem mussten sie ihr Gesicht wahren. Also unterbreiteten sie mir folgenden Vorschlag.
    »Wie wäre es denn«, sagte meine Mutter, »wenn wir in den Weihnachtsferien einen Fernseher ausleihen?«
    Ferien waren so etwas wie ein Raum-Zeit-Kontinuum, in dem alles möglich war. Nutella. Mezzo Mix. Lange aufbleiben. Da passte der Fernseher ganz gut rein. Ein Zwei-Wochen-Kompromiss sozusagen.
    Mein Vater fuhr also ins Radiofachgeschäft und mietete einen Fernseher. Es heißt ja immer, der Fernseher macht aus dem Kreis der Familie einen Halbkreis. Wie wahr! Als das Auto wieder in die Einfahrt fuhr, hatte ich bereits das komplette Wohnzimmer umgeräumt; der Couchtisch stand nun an der Wand, Sofa, Schaukelstuhl und Sitzsack gegenüber. Voilà, ein Heimkino, nur ohne Popcorn. Mein Vater platzierte das Röhrengerät auf dem Tisch, der eigentlich viel zu klein dafür war, dann frickelte er an den Kabeln herum, drückte die Fernbedienung und es wurde Licht. Auf dem Bildschirm und in mir drin.
    In den folgenden zwei Wochen verwandelte ich mich langsam in ein Kissen. Ich passte mich in Form und Farbe perfekt an die hellbeige Couch an und fiel einfach nicht mehr auf. Auch die typischen Kissen-Eigenschaften gingen mir in Fleisch und Blut über. Ich wurde faul. Lethargisch. Aber auch gemütlich und kuschelig. Ach, es war herrlich ein Kissen zu sein! Ich schaute Filme, Serien und Musikvideos, aber am liebsten mochte ich die Werbung. Und verliebte mich in den Bärenmarke Bären, der genauso gemütlich aussah wie ich. Nur wenn es gar nicht mehr anders ging, raffte ich mich auf und ging zur Toilette, so viel Selbstachtung hatte ich gerade noch.
    Auch heute ist das noch der Zustand, in dem ich Weihnachten am liebsten verbringe. Ich, der Fernseher, die Couch – wir können sehr glücklich miteinander sein. Trotzdem sagte ich damals, irgendwann zwischen Neujahr und Dreikönige:
    »Wann bringen wir den Fernseher endlich wieder weg? Ich hab ja gar keine Zeit mehr.«

6 Das Müslimädchen besucht einen Spielwarenladen und findet den Bruder, den es nie hatte.
Auf einem Kindergeburtstag lernt es,
dass nur die äußeren Werte zählen.
    Mit zwanzig wurde ich stolze Besitzerin eines Patenkinds. Es war ein Mädchen, hieß Annemie und erinnerte sich zweimal im Jahr daran, dass es mich gab: an Weihnachten und an ihrem Geburtstag. Da brachte ich ihr nämlich Geschenke mit. Im Gegenzug dafür bekam ich von ihr eine angemessene Menge an Aufmerksamkeit, weshalb meine Mitbringsel wohl überlegt sein mussten. Wenn ich alles richtig gemacht hatte, schickte sie mir nach diesen Festtagen selbstgemalte Bilder oder rief an, um mir das Neueste von ihren Meerschweinchen zu erzählen – also etwas, wofür sich wohl jeder ins Zeug gelegt hätte.
    Als mir in der Schlange vom Drogeriemarkt im Einkaufszentrum um die Ecke schlagartig einfiel, dass Annemies fünfter Geburtstag kurz bevorstand, begab ich mich deshalb zum ersten Mal in das Untergeschoss. Vielleicht würde ich dort ja etwas für sie finden. Während die Rolltreppe unbeirrt immer weiter in die Tiefe fuhr, tauchte er langsam in meinem Gesichtsfeld auf. Strahlend und begehrenswert: ein Spielwarenladen. Nicht so einer wie bei mir nebenan, wo es nur unbehandelte Holzklötze gab oder pädagogisch wertvolle Bücher. Ein richtiger Spielwarenladen, so wie früher! Mit einem turnenden Bären im Schaufenster, blinkender Schrift über der Tür und einer Dose mit Gummibären an der Kasse. Nur dass hier kein Bär turnte, sondern eine Eule. Ob sie wohl auch Gummibärchen …? Ich ging hinein.
    Der Laden war riesig und roch nach einer Mischung aus Playmobilmännchen, Puzzleteilchen und Handpuppen. Ich war sofort high. Benommen streifte ich durch die Gänge, drückte auf Puppenbäuche, die daraufhin »Mama« quäkten, bestaunte Dackel, die laufen konnten und bellen und kacken, und fuhr mit der Hand durch Polyesterkostüme, sodass die Kleiderbügel klapperten.
    Dann stand ich vor einem lebensgroßen Stoffpapagei, der über dem Kuscheltierregal auf einer Holzstange saß. »Der Papagei pfeift, lacht und singt und spricht alles nach, was du

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