Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
Notiz von mir, sondern schlurfte Richtung Gemüseregal und fing an, die Kartoffeln nach ihrer Größe zu sortieren. Ich war ratlos. Vorsichtig näherte ich mich dem Menschen.
»Entschuldigung? Ich hätte gerne etwas Käse.«
Der Mensch schaute auf, aber mir nicht in die Augen, sondern schräg dran vorbei, vielleicht schaute er auch in meinen Kopf, und sagte: »Die Käsetheke ist dort drüben.«
Das wusste ich schon, also sagte ich: »Ich weiß.«
»Na dann«, sagte er und widmete sich wieder seinen Kartoffeln.
Ich ging rüber zur Käsetheke. Dort war niemand. Das hätte ich dem Menschen schon vorher sagen können.
»Hier ist niemand«, rief ich ihm zu.
Schwerfällig richtete sich der Mensch auf und kam her, auf leisen Socken, bei jedem Schritt entwich seiner Brust ein Seufzer. Ach, ach, ach. Immer diese Kunden! Als wüsste er nichts Wertvolleres mit seiner Zeit anzufangen. Er ging zum Waschbecken hinter der Käsetheke und öffnete den Wasserhahn. Dann wusch er mit der einen Hand seine andere, und zwar so lange, bis sie sich auflöste und im Abfluss verschwunden war.
»Was darf’s denn sein?«, fragte der nun einhändige Mensch. »Einmal vom mittelalten Bergkäse, bitte«, sagte ich und zeigte auf eben diesen.
Er setzte das Messer an.
»So?«
»Ein bisschen mehr.«
»So?«
»Noch ein bisschen.«
Unglaublich, wie geizig er war.
»So?«
»Meinetwegen.«
Der Mensch nahm den Käse aus der Vitrine und legte ihn auf ein unlackiertes, geöltes Holzbrett. Dann legte er den Käse wieder zur Seite und riss Butterbrotpapier ab, welches er auf das Brett legte und dann den Käse wieder obendrauf. Er nahm das Messer, arbeitete sich in akribischer Millimeterarbeit durch den Käse, als sei er ein Klumpen Ton. Er packte den abgeschnittenen Teil in das Papier, legte beides auf die Waage, schrieb den Preis darauf, legte den restlichen Käse wieder in die Vitrine, positionierte ihn mehrmals neu, spülte das Messer gründlich ab, nahm meinen Käse und ging damit zur Kasse. Ich folgte ihm unauffällig. Beim Eintippen fiel ihm auf: Die Kassenzettelrolle war leer. Der Mensch ging ins Hinterzimmer, um dort sehr viele Schubladen zu öffnen und wieder zu schließen, bis er mit einer neuen Rolle zurückkam. Er legte sie ein und tippte auf den Tasten herum.
»Fünf Mark neunundsiebzig«, sagte er, und als ich ihm einen Zehn-Mark-Schein hinhielt, ächzte er und ging erneut ins Hinterzimmer. Er kam mit Münzrollen zurück, öffnete sie, kippte sie in die Kassenschublade und gab mir vier Mark einundzwanzig wieder. In Ein-Pfennig-Stücken. Als ich den Laden verließ, war es draußen genauso dunkel wie in mir drin.
»Warum hat das denn so lange gedauert?«, fragte meine Mutter, als ich wieder zu Hause ankam. »Wasch dir die Hände, es gibt Essen.«
Es gab Vollkornnudeln mit Tomatensoße und Salat. Abgesehen davon, dass Vollkornnudeln die gemeinste Erfindung der Welt sind und vor meinem inneren Auge eine wagenradgroße Wagner-Pizza auftauchte, schmeckte es ziemlich gut – bis ich einen schwarzen Punkt auf meinem Salatblatt entdeckte.
»Das ist nur ein Pfefferkorn«, sagte mein Vater.
»Seit wann haben Pfefferkörner bitteschön Beine?«, gab ich zurück und hielt ihm das Blatt unter die Nase. »Das ist eine Laus!«
»Ist doch toll, eine kostenlose Fleischbeilage!«, sagte meine Mutter.
Im Witze machen war sie noch nie gut.
Auf einmal hatte ich keinen Hunger mehr. Das hatten sie nun davon, dass sie den Salat unbedingt im Bioladen kaufen mussten oder am Demeter-Stand auf dem Markt.
Das hieß, er war ungespritzt und schmeckte auch den Tieren auf dem Acker.
Von denen sich die Hälfte noch im Salat befand, wenn er bei uns im Kühlschrank lag.
»Papa, hast du den Salat etwa nicht gewaschen?«, fragte ich.
»Doch, sogar dreimal. Mit Salzwasser.«
Und dennoch hatte eine Laus überlebt! Mir lief es kalt den Rücken herunter. Was, wenn sie nicht die einzige war? Wenn ich schon viele Läuse mitgegessen hatte, ohne zu wissen, dass es sich eben nicht um Pfefferkörner handelte? Vielleicht hatte sich die Laus in Todesangst an ein Blatt geklammert, oder Händchen gehalten mit ihrem Schwippschwager, der folgerichtig auch noch irgendwo im Salat sein musste. So gerne ich Tiere mochte, auf Läuse traf das nicht zu. Und ich hatte nicht vor, mein Essen mit irgendjemandem zu teilen, ich war schließlich Einzelkind. Da hat man gewisse Prinzipien.
Seither erzählt meine Mutter gerne, ich sei ein schleckiges Kind gewesen. Schleckig ist ein
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