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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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wir einen Fernseher, meine Mutter und ich, einen ganzen Nachmittag lang. Aus einem Pappkarton. Wir schnitten, klebten und malten, und am Ende entstand ein kleines Kunstwerk, mit bunten Knöpfen als Schalter und zwei Bildschirmen, einem vorne und einem hinten. Auf die eine Seite hatte ich die Sendung mit der Maus gemalt, auf die andere Seite die Tagesschau mit der Wetterkarte. Mehr kannte ich ja nicht.
    In der nächsten Deutschstunde sprachen wir also über Medien. Ich hatte meinen Pappfernseher mitgebracht und vorerst unter dem Tisch platziert.
    »Was sind denn eure Lieblingssendungen?«, fragte Frau Homeier. Speckige Kinderarme reckten sich in die Luft.
    »Ich will, ich will!«, schrie Lukas. »Frau Homeier, hier!«
    »Lukas, wer schnipst kriegt ’ne Vier! Ja, Annika?«
    » Beverly Hills Neunzigzweihundertzehn .«
    Was für ein bescheuerter Name.
    »Ich bin immer Donna, wenn wir das nachspielen«, sagte Annika. Gekicher aus den Mädchenreihen. Annika und ihre Freundinnen tauschten ständig Sammelbildchen von Beverly Hills 90210 , bei denen die von Donna doppelt so viel wert waren wie die von Brenda.
    »Und du, Lukas?«, sagte Frau Homeier.
    »Bud Spencer natürlich.«
    »Pfff, MacGyver ist viel cooler!«, rief Timo.
    »Quatsch, MacGyver ist schwul.«
    »Und Bud Spencer fett!«
    »Ey, ich geb dir gleich ’ne beidhändige Doppelbackpfeife!«
    »Lukas, Timo, solche Wörter sagen wir hier nicht!«, sagte Frau Homeier.
    Sie musste dringend ihren Blazer ausziehen. War es hier heiß, oder was? Zweitklässler. Von wegen, die seien noch süß, morgen würde sie dem Rektor nahelegen, dass ein Knigge-Fach angemessener wäre als Medienpädagogik. Sie schaute auf die Trillionen von Armen, die in der Luft wedelten und schnipsten, und atmete langsam aus. Es nutzte ja alles nichts.
    »Niko?«
    »Ich guck am liebsten Alf .«
    »Ja, Alf ist toll!!«, schrie der Kinderchor.
    Pöh, das konnte ich auch. Ich meldete mich.
    »Ja, Franziska?«
    » Die Sendung mit der Maus .«
    Frau Homeiers Stirn entfaltete sich. Wenigstens dieses Kind war nicht so frühreif wie die anderen, es gab also noch Hoffnung.
    »Sehr schön«, sagte sie.
    »Ha«, schrie Timo. » Die Sendung mit der Mau s ist ja wohl für Kindergartenkinder.«
    Verdammt. Plötzlich musste ich ganz dringend etwas in meinem Schulranzen suchen. Tomaten. Ach so, nee, das war ja mein Kopf. Hm.
    Dann sollten wir in eine Tabelle eintragen, wie viele Stunden pro Woche wir fernsehen. Hochkonzentriert wurden Zungenspitzen aus Mündern gestreckt und an den Fingern abgezählt, wie oft noch mal das A-Team kommt und wie denn nun der Sonntag zu bewerten sei, wenn Mama und Papa noch schlafen und Bugs Bunny im Wohnzimmer in Endlosschleife läuft. Sorgfältig schrieb ich » 30 Minuten« in die Tabelle. Schließlich mussten alle Schüler vorlesen, was sie in der Tabelle notiert hatten. Ich war die mit der kleinsten Zahl.
    »Franziska«, sagte Frau Homeier, »erklär doch mal, warum du weniger fernsiehst als alle anderen Kinder.«
    Mist. Ich nuschelte, vielleicht würde mich ja niemand hören. »Sliegt daran, dsswrknfernsehham.«
    »Was?«
    »Das heißt ›Wie bitte‹.«
    »Stimmt. Wie bitte?«
    »Das liegt daran, dass wir keinen Fernseher haben.«
    In den darauffolgenden Sekunden hörte ich, wie eine Fruchtfliege gegen das Fensterglas prallte und Kreide von der Tafel bröselte, so still war es. 23  Augenpaare starrten mich an.
    »Wie jetzt, ihr habt keinen Fernseher.«
    »Das geht doch gar nicht!«
    »Was machst du denn nach der Schule?«
    Gejohle. Lukas, in den die Hälfte der Mädchen verknallt war, weil er so schöne Bilder malen konnte und der noch nichts davon wusste, dass ich ihn später einmal heiraten würde, fragte: »Wollen dich deine Eltern bestrafen?«
    Die Tomate, die anstelle meines Kopfs auf meinem Körper saß, lief Gefahr, zu Suppe zu verkochen. Ja, so war es vermutlich. Genau so fühlte ich mich auch in Mathe, wenn wir dieses Spiel spielten, bei dem die ganze Klasse aufstehen musste und sich nur diejenigen setzen durften, die eine Rechenaufgabe gelöst hatten. Ich stand immer als Letzte da.
    Dann fiel mir etwas ein. Ich hatte ja noch den Pappfernseher! Vorsichtig holte ich ihn unterm Tisch hervor und hielt ihn in die Höhe. 23  Münder öffneten sich. Was war das denn jetzt?
    »Das ist aber eine Überraschung«, sagte Frau Homeier. »Komm doch mal nach vorne.«
    Ich lief an den Mündern vorbei, stellte den Fernseher auf das Lehrerpult und mich auf einen Stuhl.
    »Ja, also das

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