Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
ist mein Fernseher. Den hab ich selbst gebastelt.«
Die anderen Kinder rangen mit sich.
War das jetzt cool? So was hatten sie nicht.
Aber er war ja nur aus Pappe.
Trotzdem, so was hatten sie nicht.
Sie waren ganz aufgewühlt. Frau Homeier auch, allerdings aus anderen Gründen. Ihr fiel wieder ein, was sie an ihrem Beruf so schätzte, nämlich dass sie mit Kindern zu tun hatte (abgesehen von diesen Schnarchnasen im Lehrerzimmer). Kinder waren generell erträglicher als Erwachsene, aber manchmal waren sie sogar beinahe niedlich. Dieser Eifer! Nicht wissend, dass sie jeden Moment auf die Schnauze fallen könnten. Hihi. Sie gab mir einen Extra-Stempel in mein Hausaufgabenheft, den mit der Biene Maja. Dem fleißigen Bienchen. Kein Fernseher und dann auch noch ein Streber-Stempel, na herzlichen Glückwunsch.
Nach der Schule ging ich mit Annika und Sabrina bis zur Kreuzung. Annika guckte ein paar Mal zu mir rüber.
»Darf ich mal anfassen?«
»Klar.«
Sie streichelte den Pappkarton.
»Ich will auch so einen Fernseher. Da kann man sich immer aussuchen, was man sehen will.«
Ha! Sabrina nickte und sagte: »Es ist eigentlich gar nicht so schlimm, keinen Fernseher zu haben.«
Was die beiden noch nicht wussten: Ich hatte nicht nur keinen Fernseher, ich hatte auch keine Kuckucksuhr. Aus Pappe.
»Wollt ihr die mal anschauen kommen? Wenn das Türchen aufgeht, dürft ihr auch ›Kuckuck‹ rufen.«
Sie wollten. Und meine Ehre war gerettet. Vorerst.
Trotzdem kam das Thema zu Hause vor den Familienrat. Der wurde immer dann einberufen, wenn es ein Problem gab oder eine Entscheidung getroffen werden sollte. Meine Eltern waren überzeugt davon, dass auch dem Kind ein Mitspracherecht eingeräumt werden muss – anders als damals bei ihnen in den Sechzigern, denn da hatten sie nichts zu melden. Nun wollten sie die direkte Demokratie. Und ein freundliches Miteinander, so wie der Erfinder des Familienrats, der Psychologe Rudolf Dreikurs, es propagiert hatte.
Meistens lief es dann aber ganz anders, ungefähr so:
»Kann ich heute bei Nora übernachten?«, frage ich meine Mutter, den Telefonhörer in der Hand.
»Wir wollen Monopoly spielen.«
Sie schaut zu meinem Vater, der die Augenbrauen hochzieht, und sagt: »Das entscheiden wir jetzt nicht so hopplahopp. Wir besprechen das im Familienrat. Sag, du rufst sie zurück.«
Ich knalle den Hörer auf die Gabel. Familienrat. Wie ich allein das Wort hasse! Mein Vater schaut auf seine Armbanduhr. »Wir konferieren in einer halben Stunde.«
Dreißig Minuten später. Ort: Der Esstisch. Es gibt Espresso (für Papa), Reiswaffeln (für Mama) und strenge Blicke (für mich). Fehlen nur noch das Grundgesetz, ein Hammer und mehrere Schöffen, die sich im Hintergrund Notizen machen. »So«, sagt mein Vater und gießt sich Espresso ein. »Du willst also bei Nora übernachten.«
Es ist ganz wichtig, dass am Anfang nochmal gesagt wird, um was es geht. Ich nicke.
»Aber morgen ist doch dein Flötenvorspiel.«
»Ja und?«
»Wenn du bei Nora übernachtest, bist du danach immer krank, weil ihr viel zu lange aufbleibt.«
Eine Minute lang war es zivilisiert zugegangen, aber damit ist jetzt Schluss.
»Stimmt doch gar nicht!«, schreie ich.
»Hör auf zu schreien!«, schreit meine Mutter.
»Ruhe, alle beide«, sagt mein Vater.
Ich starre auf die Tischdecke. So muss sich ein wildes Tier fühlen, das in seinem Zoogehege im Kreis rennt, obwohl es weiß, dass es kein Entkommen gibt. Abhängig von der Gunst der Besitzer. Dürfen Eltern das eigentlich, ihr Kind besitzen? Ich bin doch nicht ihr Hab und Gut. Ich stelle mir eine Frau vor, die sagt: Schönen guten Tag, das hier ist mein Haus, meine Handtasche, ach ja, und mein Kind. Über all das kann ich verfügen. Habe ich nicht ein riesiges Glück?
»Du hast schon letzten Monat bei Nora übernachtet.«
Ich zucke mit den Achseln. Hier ist eh nichts mehr zu holen. Nur Hass.
»Papa hat recht«, sagt meine Mutter. Überraschung.
»Ich finde, du solltest heute hier schlafen.«
Ich stehe auf. Bringe mich in Position. Brülle.
»Immer geht es nach euch!«
Beim Rausrennen höre ich noch ein »Fräulein, so nicht!«, dann werfe ich die Tür hinter mir zu. Sie wollen Demokratie? Dann hätten sie mir mal einen Bruder machen sollen! Wenn drei Menschen zusammenleben und zwei davon sowieso immer einer Meinung sind, ist das keine Demokratie, sondern ein autoritäres System. Diktatoreneltern!
Darum wunderte ich mich auch nicht, dass sich die Diktatoren
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