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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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der Sprache schon angelegt sind). Schon seit einiger Zeit kann man neue Formen registrieren, und zwar sowohl solche mit Artikel, als auch solche ohne:
    Neue Formen mit Artikel:
    â€“ der Kevin, die Marlene
    â€“ Wir wollen uns nicht nur auf die Mutmaßungen verlassen.
    â€“ Griechenland braucht schon wieder die Finanzspritze.
    â€“ Der Adapter ist schon lange nicht mehr zum Gebrauchen .
    â€“ Er lebte auf dem großen Fuß .
    Neue Formen ohne Artikel:
    â€“ Die letzten Nachrichten gegen 23.15 gibt es in ZDF.
    â€“ In Tschad hat es schon wieder eine Entführung gegeben.
    â€“ Wenn Sie hier Problem vermuten, sollten Sie sich nochmal FAZ ansehen.
    â€“ Ergebnis ist zweifellos, dass alle den Gürtel enger schnallen müssen.
    â€“ auf Basis von Mikrozensus 2002
    â€“ es kam schließlich zu Prozess .
    Alles in allem kann man dies unter dem Stichwort der ‹Durchkreuzung› der alten Verwendungsweisen verbuchen.
Durchkreuzungen von Artikel und Nichtartikel
    Formen mit Artikel simulieren oft nur Determiniertheit, am deutlichsten bei den Eigennamen: Das ist der Kevin (niemand der Anwesenden kennt ihn, obwohl der Artikel der genau das anzeigt). Formen ohne Artikel nutzen offenbar das Fehlen des Artikels zu einem neuen Fokusmarker, so etwa bei Schlüsselwörtern in professionellen Jargons von Economy-Managern, in dem auch der unbestimmte Artikel weggelassen werden kann : auf _ Basis, bei _ Problem, _ Resultat steht für auf der Basis, bei einem Problem, das Resultat etc. Man achte darauf, dass es hier kein englisches Vorbild gibt, und es ist noch nicht vollkommen klar, auf welchen Wegen dieser neue ‹Nullartikel› in professionelle Jargons eingedrungen ist.
    Niemand kann also zur Zeit mit Bestimmtheit sagen, wie diese neuen Formen im einzelnen wirklich motiviert sind (und ob es überhaupt eine zentrale Motivation gibt); auch fehlen – wie meist – einschlägige Studien und Theorien. Die Äußerungen haben aber eines gemeinsam: Die semantischen Voraussetzungen, die der Standard für Formen mit und ohne Artikel jeweils vorsieht, sind nicht mehr oder nicht mehr voll gegeben. Oder anders ausgedrückt: Der Raum für Determiniertheit/Indeterminiertheit hat sich verschoben; vieles ist im Fluss. Zum Beispiel muss im Satz
    â€“ Wir wollen uns nicht nur auf die Mutmaßungen verlassen.
    nicht mehr bekannt sein, um welche Mutmaßungen es sich genau handelt. Vielleicht sind Situationen allgemeiner Art gemeint, in denen Mutmaßungen als solche potentiell vorkommen . Es darf also das, was der Artikel suggeriert (d.h. bekannte Mutmaßungen), im Hintergrundwissen durchaus fehlen oder unbestimmt bleiben. Man kann es auch andersherum formulieren: Bei Artikelformen können oft die Voraussetzungen für Nichtartikel ausfindiggemacht werden, und umgekehrt. Was stattfindet, ist so etwas wie eine Durchkreuzung von Artikel und Nichtartikel. Dies gilt im Prinzip für alle neuen Formen um den Artikel, und es ist zur Zeit nicht klar, ob dies eine Neudefinition des Artikelgebrauchs bedeuten wird oder nur seine Schwächung im Interesse des langfristigen Sprachwandels. Auch kann zur Zeit niemand sagen, ob die akuten Veränderungen in der deutschen Umgangssprache tatsächlich und, wenn ja, in welchem Umfang durch die Interaktion mit Mehrsprachigkeit (evtl. auch plus Englisch) ausgelöst oder beschleunigt sind. Möglich ist beides durchaus.
    Sicher ist zumindest, dass Mehrsprachigkeit einen Motor für diese Prozesse darstellt, vielleicht sogar den wichtigsten oder stärksten. Nach unseren Beobachtungen hat die Verwechslung von bestimmtem Artikel und Nullartikel besonders im Munde von Migranten etwas von Regelmäßigkeit:
    â€“ Das sind Theateraufführungen für die Kinder. (für Kinder) vs.
    Zeigen Sie mal _ linke Hand! (die linke Hand)
    Die Lage ist Grund genug, die Migrantensprachen und ihre Artikel näher unter die Lupe zu nehmen.
Der Artikel und die Migrantensprachen
    Das bunte Leben des Artikels im Migrantendeutsch (‹Akzent›) hat hieran einen unauslotbaren Anteil. Kaum eine wichtige Migrantensprache hat überhaupt einen Artikel. Sprachen wie Türkisch, Russisch oder Bosnisch besitzen allenfalls selbständige Demonstrativpronomen wie dieser, diese, dieses , die aber keine Artikel sind.[ 10 ] Das Arabische hat ihn, die Balkansprachen auch. Die Migrantensprachen insgesamt verhalten sich im Prinzip so wie die Sprachen in der

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