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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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doch mehr angepasst als ihre Kommilitonen in anderen Städten.
    â€“ Die diesjährige Präsentation war in jedem Fall ein Stückweit mehr interessanter (!) als ihre Vorgängerin.
    Möglich ist, dass der MEHR-Typ in seiner Anfangsphase mehrere Stufen durchläuft. So wird er zunächst öfter auftauchen in Sätzen wie:
    â€“ Er war mehr aufgeregt , als dass er durcheinander war.
    â€“ Im Laufe des Abends und nach einigen Bierchen wurde er mehr und mehr gesprächig .
    Hier liegen spezielle Steigerungsformen vor, die für Veränderungen offener sind.
    Diese neuen Formen haben offenbar auch Zwischenstufen, die die ‹Zielform› sprechergerecht vorbereiten. Das alte ‹interessanter›taucht dann in einem nächsten Stadium auf als ‹mehr interessant(er)› (s.o.) – eine höchst merkwürdige Mischform, deren Doppelung dann bald wieder beseitigt wird in Richtung auf die endgültige Form ‹mehr interessant›. Hier höre man auf Kindermund, foreigner talk , Sprachenneulerner oder Versprecher. Auch im Migrantendeutsch ist dies der gängige Typ. Sehen wir uns die Lage in den Hintergrundsprachen der Migranten etwas genauer an.
Wie machen es die Migrantensprachen?
    Neben dem Englischen ( more interesting ) werden die Migration und der Einfluss ihrer Sprachen im Milieu der neuen diffusen Mehrsprachigkeiten in Deutschland ordentlich gewirkt haben. Fast schon nicht mehr erstaunlich, dass zwei mächtige Migrantensprachen eine Steigerung nach dem Muster MEHR SCHÖN = SCHÖNER haben.
    Das Türkische hat ausschließlich den mehr -Typ güzel : daha güzel ‹schön: mehr schön = schöner›. Sogar die höchste Steigerungsform hat diese Struktur: en güzel ‹am schönsten›.
    Das Arabische hat, wie das Englische, zwei Modelle, ein schwieriges und ein einfaches. Das schwierige variiert nach dem Prinzip der inneren Flexion die Wurzel:
    Wurzel K_B_R ‹groß›: kabÄ«r ‘ akbar ‹größer› wie in allahu ‘ akbar ‹GOTT IST GROSS› eigentlich: ‹ist größer› – (als alles was man sagen oder tun kann).
    Wurzel Ğ_D_D ‹neu›: ğadÄ«d ‹ neu › ağadd ‹neuer›
    Im ganzen Satz: bayt al-muḥāsib ‘ akbar min bayt al-mudarris.
    â€¹Das Haus des Bankers ist größer als das Haus des Lehrers.›
    Diese Form ist für Lerner schwerer, weil es keine Regeln gibt und weil man sich mutierte Wurzeln immer schwerer merken kann als den Typ mit MEHR. Dieser kommt aber für lange Adjektive vor und ähnelt darin dem englischen Muster mit more . Das arabische Wort für MEHR ist ‘ akṭār : ‘ akṭār ‘ ifādatan ‹mehr nützlich› = ‹nützlicher›; ‘ akṭār intishāran ‹verbreiteter›.
    Alle Balkansprachen haben den mehr -Typ, und zwar in der bereits hochgradig grammatikalisierten Form; er hat den ersten Typ lauter, schneller vollkommen beseitigt: z.B. griechisch pio kaló ‹mehr schön› = ‹schöner›.
    Niemand kann zur Zeit sagen, wie das Deutsche diesen Typ weiterentwickeln wird: ob es eine Variante sein wird wie im Russischenoder Englischen oder ob es weiter geht in Richtung auf die romanischen Sprachen. Sicher scheint – mit Blick auf Europa –, dass der alte Komparativ vom Typ laut : lauter in der Zukunft nicht das einzige Muster bleiben wird.
Der Umlaut wird allmählich eingeebnet
    Eine weitere Vereinfachung, die noch ganz im Verborgenen stattfindet, schließt sich hier direkt an. Die deutsche Grammatik ist überall von Formen durchzogen, die in lautlichen Varianten vorliegen:
    â€“ stark : stärk -er ; rot : ge röt et ; helf en : hilf!; Rat schlag : Rat schläg e; lad en : läd t etc.
    Der Normal-Vokal wechselt ab mit dem Umlaut, wir nannten das ‹innere Flexion›. Was neuerdings vor sich geht, ist, dass die Unterschiede zwischen den Formen, von denen viele einen Umlaut haben, eine schwache Tendenz zum Abbau entwickeln, d.h. die Formen werden vorsichtig vereinfacht und die Umlautformen immer öfter geschwächt oder gleich ganz eingeebnet. Im Jugendjargon sind Formen wie
    â€“ nehm das!, helf ihm (ihn) mal!, sprech deutsch!, er ratet, sie ladet ein
    zwar noch nicht die Regel, kommen aber immer häufiger vor, zumal dann, wenn der Schulalltag weit weg ist. Aber auch unter gebildeten Erwachsenen

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