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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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geraten so leicht auf eine schiefe Ebene. Sie vernachlässigen andere wichtige Quellen, die indirekt mitwirken an den neuen Veränderungen im Deutschen. Hauptsächlich zwei Komplexe müssen hier genannt werden:
    Semantische Anglizismen (‹Calques›) kommen zwar deutsch daher, stammen aber aus englischen Wendungen: es macht keinen Sinn (to make sense); das meinst du nicht wirklich (not really); wir hatten Spaß; ich bin da ganz bei Ihnen; am Ende des Tages etc.
    Pragmatische Anglizismen stammen auch aus dem Englischen. Sie sind zwar gut deutsch, haben aber jetzt eine neue Anwendungund imitieren den amerikanischen Kino-Chit-Chat: es ist wundervoll ( das ist ja wunderbar ); wie ist dein Name ? ( wie heißt du ?); es sind noch fünf Minuten zu gehen ( das Spiel dauert noch fünf Minuten ); willst du darüber reden ?; ich bin beeindruckt ; das ist nicht fair; willst du, dass ich es tue ? etc.
    Ãœber die Schleichwege der schnellen Synchronisationen in Hunderten von importierten Trash-Serien (auf Super-RTL; Nickelodeon u.a.) werden, ohne dass wir es merken, unseren Kindern täglich diese englischen Wendungen eingetrichtert – ohne dass sie gefragt würden, ob sie das passend finden oder nicht. Wir haben also auch eine Invasion von Krypto-Anglizismen, die die Jugendsprache schleichend verändern. Der bekannte Autor und Übersetzer Dieter E. Zimmer hat das ‹Neuanglodeutsch› (was die Sache besser trifft als ‹Denglisch›) in allen Facetten beschrieben.
Englisch – eine schon vereinfachte Sprache
    Der Einfluss des Englischen trifft die Sprachsituation im Migrantenland Deutschland noch aus einer ganz anderen, ganz unerwarteten Ecke: Das Englische ist selber eine grammatisch vereinfachte Sprache und facht als Prestigesprache des Konsums und des Lebensstandards die Tendenz zur Simplifizierung anderer Sprachen ordentlich mit an. Englisch hat schon im Mittelalter seine grammatischen Strukturen komplett umgebaut: Aus dem Clash mit dem normannischen Französisch der Eroberer und einer jahrhundertelangen Zweisprachigkeit ist es als eine kasuslose und grammatikarme Sprache – eben als das Neuenglische – hervorgegangen. Diese Strukturen, die ihrerseits aus dem Sprachkontakt stammen, beeinflussen heute die neuen Mehrsprachigkeiten in Europa und Deutschland, sozusagen von der Seite her, und steuern sie in eine bestimmte Richtung. Das Englische hat die neuen europäischen und deutschen Prozesse schon vor längerer Zeit durchlaufen: Es hat kaum noch Endungen, hat sogar die Konjugation der Verben von den Personalendungen befreit ( I say, you say, we say etc.), steigert mit more (unter anderem) und hat nur noch einen Artikel the für alles. Vieles findet man im modernen Englischen bereits fertig vor, was sich als mögliches Fernziel in anderen Sprachen eben erst andeutet. Das Englische befindet sich bereits in vielem am Ende der Fahnenstange des sogenannten ‹Analytismus› (und hat typologisch eigentlich nur noch das Chinesischevor sich); es ist der Vorreiter einer europäisch-globalen Entwicklung. Man kann also sagen, dass die Tendenz zur Vereinfachung – in welcher Sprache auch immer – sozusagen vom Englischen noch zusätzlich geadelt wird, als ein unumgänglicher Zug der Zeit. So wird den nationalen Sprachpflegern letztlich durch die europäisch-englisch-globale Sprachsituation noch der letzte Wind aus den Segeln genommen. Viele glauben sogar, dass es letztlich das Englische sei, das für die schleichende Erosion der deutschen Grammatik verantwortlich ist, wie vor einiger Zeit im Spiegel zu lesen war.[ 32 ]
    Das Englische (wie auch das Chinesische – die beiden wichtigsten Weltsprachen in der Zukunft) ist also ein leuchtendes Musterbeispiel dafür, dass man einen großen Teil der komplexen ‹europäischen› Grammatik gar nicht um jeden Preis braucht – nicht für die alltägliche Kommunikation, nicht für den internationalen Verkehr, nicht für die Wissenschaften. Und für Migration und Integration schon gar nicht. Oder andersherum: Man muss solche Dinge wie Kasus, Person, Einzahl/Mehrzahl und vieles andere nicht unbedingt direkt am Wort ausdrücken. Man kann es eben auch anders machen. Und der Kontext tut dann das Seinige dazu. (Neue Projekte zu den Sprachen auf dem Globus zeigen ohnehin, dass die europäische Art, Grammatik auszudrücken, im Weltmaßstab eher die Ausnahme ist).[ 33 ]
Ein

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