Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
und sprachen östliche Dialekte und in Deutschland ein grobes, schroffes Deutsch-Pidgin (Keim 1978). Beides hat am sogenannten Deutschland-Türkischen, wie es sich mit der Zeit in Deutschland herausbilden wird, einen Anteil. In der zweiten und dritten Generation verbreitet sich eine entwickelte Zweisprachigkeit: das grammatisch-ausgefeilte Code-Switching TürkischDeutsch als Gruppenzeichen. Und bei voll integrierten, karriereorientierten Menschen mit türkischem Hintergrund schlieÃlich, die täglich Standard-Deutsch sprechen, spricht man besser von einer gewandelten Deutsch-Varietät, in die sich oft charmante Spuren der Mehrsprachigkeit (wie auch ein hyperkorrektes Deutsch) mischen können.
In der Theorie gilt eine solche Differenzierung eigentlich für jede Migrantensprache, ist aber nur für das Türkische auch einigermaÃen beschrieben. Es ist natürlich utopisch und auch nicht zu erwarten, dass die Forschung immer alle diese Punkte bedient. Das ist weder möglich noch nötig. Sie wird sich zunächst auf Varietäten konzentrieren, die sozial irgendwie hervortreten und von allgemeinem Interesse sind, z.B. das Deutsch der russischsprachigen Aussiedler. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass sich solche Verzweigungen in der Zukunft auch für andere â¹nachwachsende⺠Migrantensprachen anbahnen werden. Wir kommen mit diesen Ãberlegungen an einen zentralen Punkt, den man gleich hier festhalten sollte:
Eine Super-Varietät des Migrantendeutsch ist bis jetzt nicht Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen, obwohl ihre Erfassung eigentlich nahe liegt und es hier mit Abstand die gröÃten Sprechergruppen gibt. Das ist das alltägliche, sozusagen â¹normale⺠Deutsch all jener Migranten, die soziologisch nicht besonders in Erscheinung treten, trotzdem aber die überwältigende Mehrheit in Deutschland stellen und eine starke stille Wirkung entfalten.
Zuallererst müsste man hier nachfragen und hinhören: Wie sähe denn das Deutsch griechischer und italienischer Gastwirte, polnischer Geschäftsleute, russischer Platzanweiserinnen, albanischer Sportclub-Besitzer, iranischer Buchhändler, kurdischer Bodyguards oder arabischer Rapper aus? Gibt es hier Ãhnlichkeiten und Differenzen, und wie sähen die aus? Alle haben doch einen anderen Zugang zum Deutschen, und das muss sich auf die eine oder andere Weise auf das gesprochene Deutsch auswirken! Jeder, der in diese Richtung denkt, stöÃt gleich auf zwei groÃe Probleme, die eine nähere Beschäftigung mit diesen Varietäten bis jetzt verhindern:
Die Erforschung des sogenannten â¹Akzents⺠gilt als politisch nicht korrekt und findet kaum Linguisten, die sich ihr widmen.
Die Varietät â¹migrantisches Normaldeutsch⺠zerfällt praktisch in unendlich viele Varianten â einfach weil die Deutsch-Kompetenzen der Migranten aus unterschiedlichsten Gründen sehr weit streuen.
Es ist also entweder politisch riskant oder praktisch schwierig. Wir haben deshalb hier im Grunde weiÃe Flecken auf der Landkarte der noch jungen Migrationslinguistik. Rein linguistisch gesehen geht dadurch eine wichtige Ressource der Erklärung von neudeutschen Veränderungen verloren, und die Linguistik gibt aus nichtlinguistischen Gründen ein wichtiges Analyse-Instrument aus der Hand. Durch die generelle (oft ideologisch motivierte) Ausblendung des Akzents und der vielfachen â¹Migrantendeutschs⺠mit ihren unvermeidlichen Eigenheiten und Defiziten entstehen Blinde Flecken auf drei Gebieten:
Das â¹durchschnittliche⺠Deutsch durchschnittlicher Migranten und die typischen Veränderungen des Deutschen im Munde von Migranten können nicht wirklich erfasst werden.
Das, was analog zum â¹Deutschland-Türkisch⺠und â¹Deutschland-Russisch⺠etwa â¹Deutschland-Aarabisch⺠oder â¹Deutschland-Griechisch⺠usw. heiÃen könnte, wird gar nicht weiter wahrgenommen.
Und das Wichtigste: Es kann nicht klar hervortreten, dass bestimmte Züge des durchschnittlichen Migrantendeutsch (und der Zweisprachigkeit) auch die deutsche gesprochene Standardsprache im Munde von Deutschen ohne Migrationshintergrund verändern. Und auch die Dynamik, wie sich dies vollzieht, bleibt damit weitgehend im Dunkeln.
Migrantendeutsch stellt man sich am besten als ein Kontinuum vor: Es reicht von einem reduzierten Gastarbeiterdeutsch um 1970 bis hin zu
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