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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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englisches Mustermodell: service center
    Einige Phänomene des Englischen verdienen es, hier noch besonders hervorgehoben zu werden, weil von ihnen ein weiterer Impuls für Mehrsprachigkeiten, für Interferenzen und für die typischen Veränderungen im Deutschen ausgeht. Da ist der Typ christmas tree, sex shop und street worker , der zwei Nomen verbindungslos nebeneinander stellt und sich jeder engeren grammatischen Verbindung enthält: Es kommt nur noch auf die Wortfolge an. Auch in anderen Migrantensprachen stößt man auf dieses Modell: sort kartofi ‹Kartoffelsorte› (bulgarisch), presjon airi ‹Luftdruck› (albanisch) oder vagon-restoran ‹Speisewagen› (russisch).
    Kern ist immer ein zentraler Begriff, der links oder rechts abhängige Komponenten hat: Wortstellung und der Kontext erhalten eine größere Bedeutung, um die Beziehungen im Satz undalles weiter Gemeinte auszudrücken. Vorhersagen könnte man also Entwicklungen von der Art, dass in der Zukunft sprachliche Strukturen, die ihre Grammatik nicht mehr direkt am Wort ausdrücken, einen Vorteil haben werden. Der Fokus bewegt sich von Präzision und Eindeutigkeit hin zu mehr Vagheit und mehr Kontext – auch das ist offenbar eine Folge des Sprachkontakts. Eben dieses Modell scheint sich langsam auch im Deutschen vorzubereiten: die neue Rolle Deutschland _. (s. a. Abschnitt 22).
    Es ist ganz unmöglich, die weiteren Veränderungen, die das Englische ins Deutsche noch hineinbringen mag, hier auch nur aufzuzählen.[ 34 ] Festhalten muss man, dass es eine große Dunkelziffer gibt, die auch viele Phänomene außerhalb des Wortschatzes umfasst. Offenbar wird heute unter englischem Einfluss häufiger als früher wieder das Imperfekt gebraucht: ich entdeckte etwas, ich wurde eingeladen . Auch das alte deutsche Futur, das im gesprochenen Deutschen ziemlich verdeckt war und meist als Gegenwart daherkam ( wir gehen morgen in den Zirkus ), kommt wieder zu neuen Ehren:
    â€“ ein schwacher Wind wird wehen (Wettervorhersage)
    â€“ der Zug wird gegen 20.00 ankommen (Bahnhofsdurchsage)
    â€“ die Nr. 23 Schweinsteiger wird kommen (Sportreportage) etc.
    Erwähnen wir der Vollständigkeit halber, dass auch alle Migrantensprachen ein sehr lebendiges Futur haben, das, soweit zu sehen ist, im gesprochenen Gebrauch keinen Einschränkungen unterliegt.
    Das Englische nimmt also an den aktuellen Sprachwandelprozessen im Deutschen Teil und auch wieder nicht. Es macht es auf seine Art, sozusagen aus einer anderen Richtung. Manchmal überdecken sich Sprachzüge aus Migrantensprachen und aus dem Englischen auch, z.B. Steigerungen mit MEHR: more interesting , sodass man Einflüsse aus beiden Sprachwelten zulassen muss. Die Vorbildfunktion des Englischen trifft sich dann mit den Vereinfachungen im Migrantendeutsch. Das Englische ist damit so etwas wie ein Horizont im Hintergrund, vor dem sich im Vordergrund die aktuellen Prozesse der migrantischen Sprachkontakte abspielen. In jedem Fall verstärkt seine Teilnahme an modernen Mehrsprachigkeiten zusätzlich jene Veränderungen, die im Deutschen mittlerweile so deutlich hervortreten (viertes Kapitel). Festhalten muss man:
    Das Englische hat viele von den ‹harten› Wandelprozessen aufgrund von Sprachkontakten bereits im Mittelalter durchlaufen. Als Weltsprache mit riesigem Prestige wirkt es auf aktuelle Veränderungen in Europa und Deutschland mit ein. In einem Wort: So gut wie alle Veränderungsprozesse im gesprochenen Deutschen, die durch Sprachkontakte ausgelöst sind, werden durch das Englische weiter gestützt.

 
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DRITTES KAPITEL
MIGRANTENDEUTSCH
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13. MIGRANTENDEUTSCH
    â€¹Migrantendeutsch› ist ein Terminus der Migrationslinguistik und sollte möglichst neutral aufgenommen werden. Er bezeichnet pauschal die deutschen Varietäten von Menschen mit Migrationshintergrund, die mindestens zweisprachig sind oder zwei Muttersprachen haben und beide (oder auch mehr) Sprachen gleichzeitig gebrauchen. ‹Migrantendeutsch› hat deshalb, mit Blick auf die Generationenabfolge, mehrere Lesarten. Es kann bezeichnen:
    das Gastarbeiterdeutsch der 1970er Jahre
    das Deutsch von Menschen mit Migrationshintergrund, die ‹doppelt anderssprachig› sind
    den sogenannten ‹Akzent›
    neue Varietäten bestimmter Gruppen mit Codeswitching
    Soziolekte und Pidgins von Jugendlichen

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