Mummenschanz
hinweg hatte sich Oma Wetterwachs mit den Herausforderungen begnügt, die ihr der Status als Hexe in einem kleinen Ort bescherte. Dann zwangen die Umstände sie dazu, auf Reisen zu gehen, wodurch sie etwas von der Welt sah. Und das weckte eine sonderbare Unruhe in ihr, die sich vor allem in dieser Jahreszeit bemerkbar machte, wenn die Wildgänse flogen und erster Frost den unschuldigen Blättern weiter unten im Tal eine Lektion erteilte.
Sie sah sich in der Küche um. Der Boden mußte gefegt werden. Schmutziges Geschirr wartete auf Wasser und Seife. Schmierige Flecken zeigten sich an den Wänden. Es gab so viel zu tun, daß Oma sich einfach nicht dazu durchringen konnte, irgendwo anzufangen.
Vogelschreie erklangen, und ein fransiges V aus Gänsen zog über den Himmel.
Sie flogen warmem Klima entgegen, in Regionen, von denen Oma Wetterwachs nur gehört hatte.
Ja, die Versuchung war groß.
Das Auswahlkomitee saß am Tisch im Büro von Emil Eimer, dem neuen Eigentümer der Oper. Musikdirektor Salzella und Chorleiter Dr. Unterschaft leisteten ihm Gesellschaft.
»Kommen wir nun zu… mal sehen… ja, zu Christine«, sagte Herr Eimer. »Wirkt gut auf der Bühne, nicht wahr? Und hat eine prächtige Figur.« Er zwinkerte Herrn Unterschaft zu.
»Ja, sehr hübsch«, erwiderte der Chorleiter. »Aber sie kann nicht singen.«
»Ihr Kunstburschen habt noch immer nicht begriffen, daß wir im Jahrhundert des Flughunds sind«, sagte Herr Eimer. »Die Oper ist eine Produktion und besteht nicht nur aus Liedern.«
»Wie du meinst. Aber…«
»Die Vorstellung, daß eine Sopranistin fünf Kubikmeter Busen und einen Helm mit Hörnern haben sollte, gehört in die Vergangenheit.«
Salzella und Unterschaft wechselten einen kurzen Blick. Zu den Opernhaus-Eigentümern gehörte Emil Eimer also…
»Unglücklicherweise gehört die Vorstellung, daß eine Sopranistin eine vernünftige Singstimme haben sollte, nicht in die Vergangenheit«, erwiderte Salzella bissig. »Christine hat eine gute Figur, ja. Ihrer Erscheinung mangelt es nicht an einem gewissen… Reiz. Aber sie kann nicht singen. «
»Du bist doch dazu fähig, sie auszubilden, oder?« fragte Herr Eimer. »Einige Jahre im Chor…«
»Ja, wenn sie einige Jahre lang durchhält, singt sie vielleicht nicht mehr miserabel, sondern nur noch sehr schlecht«, meinte Unterschaft.
»Äh… meine Herren…« Herr Eimer räusperte sich. »Äh… na gut. Legen wir die Karten offen auf den Tisch, in Ordnung? Ich schätze die Aufrichtigkeit. Halte nichts davon, wie die Katze um den heißen Brei herumzuschleichen. Nehme kein Blatt vor den Mund. Nenne das Kind beim Namen…«
»Wir sind ganz Ohr«, sagte Salzella. Ja, eindeutig, so ein Opernhaus-Eigentümer. Ein Selfmademan, stolz auf seine Leistungen. Jemand, der Unhöflichkeit mit rauher, herzlicher Ehrlichkeit verwechselte. Ich wette einen Ankh-Morpork-Dollar, daß er glaubt, die Festigkeit eines Händedrucks gäbe Auskunft über den Charakter des Betreffenden, dachte der Musikdirektor. Und bestimmt ist er davon überzeugt, einer anderen Person nur tief in die Augen blicken zu müssen, um festzustellen, ob er ihr trauen kann.
»Ich habe eine Menge durchgemacht, jawohl«, fuhr Herr Eimer fort. »Was ich heute bin…«
Ein aufgeblasener Narr? fuhr es Salzella durch den Sinn.
»… verdanke ich in erster Linie mir selbst. Allerdings muß ich in diesem Fall ein gewisses… äh… finanzielles Interesse eingestehen. Christines Vater… ähm… Er hat mir ziemlich viel Geld geliehen für den Kauf dieser Oper, und er hat eine von Herzen kommende väterliche Bitte an mich gerichtet. Wenn ich mich recht entsinne, lauteten seine Worte: ›Zwing mich nicht, dir die Beine zu brechen.‹ Ihr Künstler begreift so etwas natürlich nicht. Es ist eine geschäftliche Angelegenheit. Die Götter helfen denen, die sich selbst helfen – so lautet mein Motto.«
Salzella schob die Hände in die Westentaschen, lehnte sich zurück und pfiff leise.
»Ich verstehe «, sagte Unterschaft. »Nun, so was geschieht nicht zum erstenmal. Für gewöhnlich betrifft es eine Ballerina.«
»O nein, darum geht es mir nicht«, entgegnete Herr Eimer hastig. »Es ist nur… Mit dem Geld kommt auch die junge Dame namens Christine. Und ihr müßt zugeben, daß sie wirklich gut aussieht.«
»Hm, na schön«, sagte Salzella. »Es ist Ihre Oper, kein Zweifel. Und nun… Perdita…«
Die Männer lächelten.
»Perdita!« entfuhr es Herrn Eimer. Er war froh, die Sache mit
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