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Mummenschanz

Mummenschanz

Titel: Mummenschanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Tische klopften. Diese große, strahlende Leere saugte den Gesang einfach auf, ließ Agnes’ Stimme unsicher und schrill klingen.
    Nach der dritten Strophe verstummte sie und spürte, wie sie zu erröten begann – im Bereich der Knie. Es dauerte eine Weile, bis die Verlegenheit ihr Gesicht erreichte, denn zwischen Kopf und Knien erstreckte sich ziemlich viel Fleisch, aber Agnes erahnte schon jetzt die Farbe ihrer Wangen: ein sattes, unübersehbares Puterrot.
    Das Flüstern wiederholte sich. Worte wie »Timbre« raunten aus der Finsternis, gefolgt von einem nicht sonderlich überraschenden »stattlich gebaut«. Sie hörte diese Bezeichnung nicht zum erstenmal. Auch das Opernhaus war stattlich gebaut, doch deshalb fühlte sie sich keineswegs besser.
    Die Stimme erklang einmal mehr.
    »Du hast noch keine richtige Ausbildung genossen, oder?«
    »Nein.« Das entsprach der Wahrheit. Die einzige andere nennenswerte Sängerin in Lancre war Nanny Ogg, die Liedern mit einer rein ballistischen Einstellung begegnete: Sie zielte mit ihrer Stimme aufs Ende der Strophe und legte los.
    Flüster. Flüster.
    »Sing die Tonleiter, Teuerste.«
    Die Verlegenheitsröte erreichte jetzt ihre Brust und erklomm dort steile Höhen.
    »Die Tonleiter?«
    Flüster. Leises Lachen.
    »Do-Re-Mi? Du weißt schon. Man beginnt unten und arbeitet sich nach oben. La-la-lah?«
    »Oh. Ja.«
    Die ersten Ausläufer der Hitze erreichten ihren Hals, als Agnes die unterste Sprosse der Tonleiter betrat und nach oben kletterte.
    Sie konzentrierte sich auf die einzelnen Töne, erklomm vom Meeresspiegel aus den höchsten aller hohen Gipfel und achtete nicht darauf, als erst ein Stuhl über die Bühne vibrierte und zum Schluß ein Glas zerbrach und mehrere Fledermäuse aus dem Dachgebälk fielen.
    Stille herrschte in der großen Dunkelheit vor der Bühne, abgesehen von einem dumpfen Pochen, mit dem eine weitere Fledermaus auf dem Boden landete, und dem leisen Klirren eines zweiten Glases.
    »Ist das dein… voller Stimmumfang?«
    In den Kulissen bildeten sich kleine Gruppen von Neugierigen.
    »Nein.«
    »Nein?«
    »Wenn ich noch höhere Töne singe, fallen die Leute in Ohnmacht«, sagte Agnes. »Und wenn ich noch tiefer gehe, bekommen manche Zuhörer Kopfschmerzen.«
    Flüster. Flüster. Flüster. Flüster.
    »Und… äh… sonst?«
    »Ich kann mit mir selbst in einer Terz singen. Nanny Ogg meint, dazu sei niemand sonst in der Lage.«
    »Wie bitte?«
    »Hier oben?«
    »Zum Beispiel… Do-Mi. Gleichzeitig.«
    Flüster. Flüster.
    »Zeig uns, was du meinst.«
    Laaaaaa
    Die Leute am Rand der Bühne sprachen aufgeregt miteinander.
    Flüster. Flüster.
    »Und nun zur Frage der Projektion…«, tönte es aus der Dunkelheit.
    »Oh, das ist ganz einfach«, erwiderte Agnes. Sie hatte allmählich die Nase voll. »Wohin soll ich die Stimme projizieren?«
    »Wie bitte? Ich meinte…«
    Agnes knirschte mit den Zähnen. Sie war gut, das wollte sie diesen Leuten zeigen.
    »Hierher?«
    »Oder hierher?«
    »Oder vielleicht hierher?«
    Eigentlich steckte gar nicht viel dahinter, fand Agnes. Es wirkte recht beeindruckend, wenn man die Worte in den Mund einer nahen Puppe legte – reisende Schauspieler verblüfften ihr Publikum immer wieder mit solchen Tricks. Aber die Stimme ließ sich nicht sehr weit projizieren, ohne daß die Zuhörer Verdacht schöpften.
    Agnes’ Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Sie bemerkte mehrere Personen, die sich verwundert umsahen.
    »Wie lautete noch gleich dein Name, Teuerste?« Die Stimme klang nun nicht mehr herablassend; sie schien sich geschlagen zu geben.
    »Ag… Per… Perdita«, sagte Agnes. »Perdita Nitt. Perdita X Nitt.«
    »Was das Nitt angeht, müssen wir vielleicht was unternehmen, Teuerste.«
     
    Oma Wetterwachs’ Tür öffnete sich von ganz allein.
    Jarge Weber zögerte. Nun, sie war natürlich eine Hexe. Man hatte ihn darauf hingewiesen, daß so etwas passierte.
    Es gefiel ihm nicht. Aber sein Rücken gefiel ihm auch nicht, besonders deshalb, weil sein Rücken ihn nicht mochte. Es konnte unangenehm werden, wenn sich die eigene Wirbelsäule gegen einen verschwor.
    Er betrat die Hütte, schnitt eine Grimasse und stützte sich auf zwei Gehstöcke.
    Die Hexe saß in einem Schaukelstuhl und blickte an die gegenüberliegende Wand.
    Jarge zögerte.
    »Komm näher, Jarge Weber«, sagte Oma Wetterwachs. »Ich möchte dir etwas für deinen Rücken geben.«
    Er war so überrascht, daß er versuchte, aufrecht zu stehen. Das

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