Munzinger Pascha
blonde Haar zu Zöpfen geflochten, etwa acht bis zwölf Jahre alt. Das also war der Junge Wilde und Ständeratskandidat Dieter Zingg.
»Guten Morgen, Herr Mohn! Setzen Sie sich, wir beginnen gerade mit dem Frühstück. In den Ferien immer etwas später als gewöhnlich, hehe!«
Ich setzte mich, verknotete die unbeschuhten Füße unter dem Stuhl und versuchte mich zu erinnern, wann ich zuletzt die Socken gewechselt hatte. Dieses Lachen. Hehe. Hatte ich das heute nicht schon einmal gehört?
»Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit«, eröffnete Zingg das Gespräch. »Ihren Chefredakteur kenne ich ja schon ewig. Wir haben zusammen das Lehrerseminar abgesessen. Und dann waren wir beide bei den Kommunisten, hehe! Das war vor – warten Sie – vor bald dreißig Jahren. Sie müssen das ja nicht unbedingt schreiben in Ihrem Bericht, hehe!«
Wie auf ein geheimes Zeichen falteten die drei Mädchen die Hände und schlossen die Augen. Zingg und seine Frau taten es ihnen nach, und dann bat das jüngste den Herrgott, daß Er segnen möge, was Er uns bescheret hat, und daß es dem kranken Nachbarn besser gehen möge. Ich hielt mich mit beiden Händen an der Tischplatte fest und war froh, daß die ganze Familie die Augen geschlossen hatte. Ob Zingg auch Tischgebete sprechen ließ, wenn er mit seinen Kumpels von der New Yorker Avantgarde Kokain schnupfte?
Als es vorbei war, sagte Zingg: »Das hast du schön |15| gemacht, Myriam. Reichst du mir bitte die Butter, Rachel? Und du den Brotkorb, Rebekka?«
Myriam, Rachel, Rebekka. Mir schwindelte. Die drei Mädchen lächelten ihren Vater an und reichten ihm das Gewünschte, während die Mutter aufstand und am Herd mit Kaffee und Milch hantierte. Zingg schaute mich erwartungsvoll an. Ich zermarterte mir das Gehirn nach einer geistreichen Frage. Wie sollte ich etwas über den Mann schreiben, wenn mir nicht mal eine Frage einfiel? Die drei Mädchen mit den biblischen Namen musterten mich sittsam aus runden, wasserblauen Augen. Ich nahm einen Schluck Milchkaffee aus der riesigen Tasse, die mir die Frau hingestellt hatte. Jetzt mußte ich etwas sagen.
»Haben Sie dieses Haus selbst gebaut?«
Zingg riß begeistert die Augen auf. Er legte das Buttermesser auf den Teller und begann zu erzählen: von Sonnenkollektoren auf dem Dach und Wärmerückführung, Dreifachverglasung, natürlichen Baumaterialien und Holzschnitzelheizung. Ich beobachtete, wie die Mädchen sparsam Butter auf das Brot schmierten und noch sparsamer Honig auftrugen. Sie reichten einander den Honigtopf so behutsam weiter, als ob er Nitroglyzerin enthielt. Ich war mir sicher, daß Zingg den Honig selbst gewonnen hatte. Gleich hinter dem Haus stand mit größter Wahrscheinlichkeit das familieneigene Bienenhaus. Und bestimmt hatte Zingg seinen Töchtern schon tausendmal erklärt, wie hart ein Bienchen arbeiten muß für eine Messerspitze Honig.
Der Milchkaffee wärmte mir wohlig den Bauch. Die drei artigen Mädchen und ihre geschäftige Mutter wattierten den Raum mit sanfter Weiblichkeit, und |16| jetzt drang doch tatsächlich ein zaghafter Sonnenstrahl durch den Nebel in unsere Bauernküche. Ich fühlte mich plötzlich sehr wohl. Eine dösige Müdigkeit breitete sich in mir aus. Weit weg waren New York, Tokio, der Ständerat und meine Schreibmaschine. Avantgarde und Politik hatten keine Chance gegen die Gemütlichkeit unserer Frühstücksrunde. Ich nahm mich zusammen und versuchte Zinggs bautechnischen Ausführungen zu folgen. Ab und zu streute ich einen schläfrigen Ausdruck der Verblüffung ein und tunkte selbstgebackenes Vollkornbrot in den Milchkaffee. Die Frau brachte mir Lammfellpantoffeln. Mein Glück war vollkommen. Ich wollte nie mehr von hier weggehen. Bis an mein Lebensende würde ich bei diesen braven und gottesfürchtigen Bauersleuten bleiben; morgens würde ich die Kühe melken, nachmittags Schnaps brennen und abends mich zeitig im Stall zur Ruhe legen in der dampfenden Wärme des Viehs. Nach zehn Jahren treuer Pflichterfüllung würde mir der Bauer Zingg eine seiner Töchter zur Frau geben – die mittlere vielleicht, die mit den Sommersprossen –, und eines fernen Tages würde ich den Hof übernehmen.
Aber dann sagte Zingg: »So, genug geplaudert. Jetzt muß ich Ihnen erklären, wieso Politik Kunst ist und Kunst Politik. Gehen wir ins Atelier.«
Benebelt stieg ich hinter Zingg die Treppe hoch. Ich wollte nicht ins Atelier. Ich wollte in der Bauernküche bleiben bei den blondbezopften
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