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Munzinger Pascha

Munzinger Pascha

Titel: Munzinger Pascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Capus
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Pult der Größe nach, fügte zwei Wörter hinzu und löschte alles, staubte die Blätter des Gummibaums ab und rauchte meine fünfzehnte Zigarette.
    »Max, alter Träumer!« brüllte der Chef, der sich wie immer lautlos von hinten angeschlichen hatte. »Kommst du voran? Morgen früh bringst du mir den Artikel, ja? Ich möchte ihn durchsehen, bevor er ins Blatt kommt. Den alten Zingg kenne ich schon ewig. Wir haben zusammen das Lehrerseminar abgesessen. Und dann waren wir beide bei den Kommunisten, hehe! Das war vor   – wart einmal   – bald dreißig Jahren. Das mußt du ja nicht unbedingt schreiben, hehe!«
    Er war schon fast wieder draußen, als ich ihn zurückrief. »Chef! Es geht nicht.«
    »Was soll das heißen?«
    »Es geht nicht. Mir fällt nichts ein.«
    »Zum alten Zingg fällt dir nichts ein? Aber hör mal: der Bart. Die Kunst. Das Häuschen. Der Weiher. Die |28| Frau. New York. Die drei Töchter. Tokio. Und jetzt auch noch die Politik. Da fällt dir nichts ein?«
    »Wie soll ich sagen: Der Mann ist . . . er ist . . .«
    »Ja?« Der Chef schaute mich an wie ein geduldiger Primarlehrer.
    »Nun, er ist . . .«
    »Sag’s doch!«
    »Er ist ein . . .«
    »Ein Arschloch, ein verlogenes?«
    »Ja. Ganz genau.« Der Chef hatte mit zwei Wörtern das Portrait des Ständeratskandidaten Dieter Zingg gezeichnet. Der Artikel war geschrieben, die Arbeit erledigt. Ich konnte nach Hause gehen.
    »Du meinst, der alte Zingg ist ein wehleidiger Wohlstandskrüppel?«
    »Ja.«
    »Ein scheinheiliger Kriegsgewinnler? Ein kleinkarierter Kulturspießer?«
    »Exakt.«
    »Ein kleinmütiger Humanitätsheuchler? Ein wurstiger Pinselschwinger? Ein spießiger Gartenzwerg?«
    »Genau.«
    »Mein lieber Max, hör mir zu: Erstens müssen wir das Portrait einfach bringen, weil wir von jedem Ständeratskandidaten ein Portrait machen. Zweitens sind genau solche Sachen dein Job. Und drittens: Was glaubst du, welche Ausdrücke ein sechzehnjähriger Gymnasiast wählen würde, wenn er einen dreißigjährigen konvertierten Hippie wie dich mit zwei Wörtern portraitieren müßte?«
    Natürlich hatte der Chef recht. Das ärgerte mich jedesmal furchtbar, wenn er recht hatte. Sobald ich mit |29| dem Portrait fertig wäre, würde ich wieder einmal in die Kneipe gehen und mich betrinken. Sachte, aber gründlich, zur Entspannung.
    Kaum war der Chef weg, klingelte das Telefon.
    »Oltner-nachrichten-lokalredaktion-mohn-guten-tag?«
    »Max, bist du das?«
    Ingrid. Oh, Ingrid.
    »Hallo Ingrid, wie geht’s?«
    »Danke. Bestens. Großartig. Und dir?«
    »Genauso. Bestens. Ganz großartig.«
    »Hör zu: Kannst du heute abend außer Programm den Kleinen übernehmen? Ich habe eine wichtige Sitzung. Sagen wir   – in einer halben Stunde? Paßt dir das?«
    »Natürlich.«
    Es paßte mir überhaupt nicht. Heute abend wollte ich mich betrinken. Macht nichts. Mein Sohn ist wichtiger. Betrinke ich mich halt morgen. Und das Portrait kann ich auch zu Hause schreiben, wenn der Kleine schläft.
    Ingrid, o Ingrid.
    Wie lange ist das nun her, daß wir uns trennen mußten? Erst vier Monate? Es kommt mir vor wie sieben Jahre.
     
    An jenem Abend hatte ich mich mit zwei großen Plastiktaschen voller Einkäufe das Treppenhaus hochgekämpft und sie neben Ingrid auf den Küchentisch gestellt. Sie saß vor einem Glas Rotwein in betonter Gelassenheit, eine Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand. Das war ein schlechtes Zeichen. Ingrid hatte das Rauchen zu Beginn der |30| Schwangerschaft aufgegeben und war nur drei Mal rückfällig geworden   – das erste Mal, als ich ihren roten Triumph Spider zu Schrott fuhr; das zweite Mal, als ihre Werbeagentur Konkurs ging; und das dritte Mal, als ihre Mutter an Lungenkrebs starb.
    »Was ist los?« fragte ich.
    »Nichts« sagte Ingrid und schaute ihren Rauchkringeln hinterher.
    »Wo ist der Kleine?«
    »Schläft.«
    »Schon?«
    »Noch. Er schläft
noch.
Seit zwei Stunden. Gleich wird er wieder aufwachen.«
    »Dann schläft er wieder die halbe Nacht nicht.«
    »
Ja, Max!
«
    »Ich sage ja nichts.«
    »Er ist mir mitten im Flur eingeschlafen, wenn du es genau wissen willst. Über seinem Feuerwehrauto.«
    »Ja.«
    »War nicht mehr wachzukriegen.«
    »Ich sage ja nichts.«
    Ingrid ließ ihre eisblauen Husky-Augen auf mir ruhen. Dann tippte sie mit beiden Zeigefingern synchron gegen die Plastiktaschen. »Du solltest Papiertaschen nehmen, mein Lieber. Die sind umweltverträglich.«
    »Papiertaschen reißen« entgegnete ich.

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