Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Munzinger Pascha

Munzinger Pascha

Titel: Munzinger Pascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Capus
Vom Netzwerk:
Mädchen, der mehlbestäubten Frau und dem Milchkaffee. Aber Zingg wollte ins Atelier und in die Politik. Warum nur?
    Das Atelier lag unter dem Dach. Da war nichts |17| von bäuerlicher Gemütlichkeit, nur ein leerer weißer Raum mit großen Dachfenstern und einer Staffelei in der Mitte. An den Wänden standen ungerahmte Bilder, jedes so groß wie das staubige Rechteck unter dem Ehebett meiner Großeltern. Zingg deutete auf eine blaue menschliche Silhouette auf weißem Grund, die mit einem gewaltigen Satz durch einen gelbroten Feuerreif sprang. »Dieses habe ich als letztes gemalt.«
    Ich versuchte mich auf das Bild zu konzentrieren, während ein Hauch kalten Milchkaffees von Zingg zu mir herüberwehte. Um nichts sagen zu müssen, wandte ich mich dem nächsten Bild zu. Es zeigte eine rote Silhouette, die durch einen blauen Feuerreif sprang. Schweigend machte ich die Runde: violette Silhouette durch gelben Feuerreif, gelbe Silhouette durch blauen Feuerreif, grün durch violett und so weiter. Schließlich kam ich wieder bei Zingg an, der bei seinem jüngsten Werk stehengeblieben war. Ich war ratlos. Was um alles in der Welt machte Zingg da?
    Er schaute mich ernst und prüfend an. »Verstehen Sie nun, daß ich in die Politik muß?«
    Jetzt mußte ich wirklich etwas sagen. Irgend etwas. »Ich . . . fühle in Ihrem Werk eine tiefe Betroffenheit . . .«
    Zingg rieß erneut die Augen auf und begann zu erzählen: vom schlechten Zustand der Tropenwälder, vom Ozonloch, den Menschenrechten, fairem Welthandel, natürlichen Baumaterialien und Holzschnitzelheizung. Er redete über qualitatives Wachstum, nachhaltige Entwicklung und die Besteuerung fossiler Energieträger, dann auch über Kinderkrippen, Radwege, das Aussetzen von Feuersalamandern in städtischen |18| Naherholungsgebieten und die Bekämpfung des Hundebandwurms. Ich fühlte mich plötzlich sehr unwohl. Weit weg waren die Bauernküche, die mehlbestäubte Frau mit ihren blondbezopften Töchtern, der Bienenstock und der Milchkaffee. Ich nahm mich zusammen und versuchte Zinggs Ausführungen zu folgen, machte auch einige Bemerkungen und Notizen. Aber eigentlich dachte ich immer nur über die eine große Frage nach: wie ich möglichst schnell und elegant von hier verschwinden könnte.

|19| 2
    Am frühen Nachmittag saß ich in der Redaktion der ›Oltner Nachrichten‹ vor meinem Bildschirm und spielte mit der Tastatur. Hundertachtzig Zeilen, hatte der Chef gesagt; das war in zwei Stunden bequem zu schaffen. Wenn nichts dazwischenkam, würde ich noch bei Tageslicht die Aare entlangspazieren und nachsehen, wie es den Schwänen am zufrierenden Flußufer erging. Ich hatte gerade meine dreieinhalb Schreibfinger in Stellung gebracht, als eine fette, blauschwarze Fliege auftauchte. Eine Fliege mitten im Winter   – fasziniert ließ ich die Hände in den Schoß sinken. Sie torkelte brummend durch mein Büro wie ein chilenisches Postflugzeug, das verzweifelt seinen Weg durch die regenverhangenen Anden sucht. Das Postflugzeug quälte sich über den Gipfel des Gummibaums hinweg, verschwand für einen Augenblick in einer schwarzen Gewitterwolke und schaffte kurz vor dem Zerschellen am nächsten Gebirgszug eine Notlandung auf meinem Büchergestell. Dort stand der Flieger still und ließ die heißgelaufenen Propellermotoren auskühlen. Sachte rollte ich auf dem Bürostuhl zum Regal. Der Brummer mußte weg; solange der im Büro umherkurvte, würde ich keine Zeile schreiben können. Als ich auf Armeslänge herangekommen war, hob ich die Hand, fixierte den Gegner, schlug blitzschnell zu   – und die Fliege war nur mehr ein Fleck, gleichmäßig |20| verteilt auf meinem Handteller und einem grünen Buchrücken. Ich wischte meine Hand ab und betrachtete das Buch. Dick, in Leinen gebunden, goldene Prägeschrift:
Geographisches Lexikon der Schweiz,
erschienen 1905.   Noch nie gesehen. Dabei saßen wir nun schon drei Jahre ganz nah beisammen, Rücken an Rücken sozusagen. Als pflichtbewußter Lokalreporter schlug ich unter O wie Olten nach.
     
    OLTEN (Kt. Solothurn, Amtei Olten-Gösgen). 400   m ü. M., Stadtgemeinde, 67   km nördlich von Bern, auf beiden Seiten der Aare und zwischen den beiden südlichsten Juraketten, 47º 21’ n. Br. und 8º 03’ ö. L. von Greenwich. Olten verdankt seine Bedeutung der Eigenschaft als Hauptzentralpunkt der Bahnlinien Genf-Zürich-Bodensee via Bern und via Neuenburg und Basel-Luzern-Chiasso sowie der Straßenzüge . . .
     
    Olten war also ein

Weitere Kostenlose Bücher