Murats Traum
irgendein eindeutiges Zeichen helfen. Das ist meistens mein Part. Ich mache mir die Hose auf. Oder ich lege eine Hand auf Murats Schenkel, weit oben. Oder beides. Oder ich hocke mich zwischen seine Knie, fummele an seiner Hose, während er sich eine von den Motten aussucht, die dann immer gleich angeschwirrt kommen.
An dem Tag half alles nichts. Sie beäugten uns von ringsumher, aber nur aus sicherem Abstand.
Murat schnaufte gereizt. Plan B trat in Kraft. Ab in die Büsche. Wir stellen uns an einen gut einsehbaren Platz und tun so, als ob wir was anfangen. Schon fassen die Motten Mut und schwirren heran. Wir greifen eine raus.
Murat griff. In öffentlichen Grü nanlagen ist er nicht wählerisch. Ich signalisierte stumm mein Okay. Die überflüssigen wegzuscheuchen, ist dann wieder sein Part. Er macht es wie ein Löwe über der Beute, dreht knurrend den Kopf nach hinten. Wir müssen uns immer das Lachen verkneifen und haben sofort unsre Ruhe.
Unsere Motte diesmal war ein unscheinbarer Mittvierziger, kahlgeschoren, Ohrringe, Bomberjacke, Sklavenfresse. Murat ließ sich den Schwanz lutschen, obercool an einen Baum gelehnt, die Umgebung im Auge. Ich hätte ihm gerne gesagt, wie ich mich freute, dass er wieder da war. Aber das passte jetzt wohl schlecht. Er gab mir das Zeichen, unsre Motte freizulegen. Er wollte den Arsch sehen. Auf seine umständliche Art hatte er mir mal erklä rt, wie scharf er auf diesen besonderen Moment war, das Runterziehen der Hose, möglichst langsam, und dann kriegst du einen ersten Eindruck, was dich erwartet. Bis dahin bleibt das Ganze ja die Katze im Sack. Den zweiten Eindruck übermitteln dir erst deine Finger, die unnachgiebigen Kundschafter, die aus jeder Expedition ihre Lehren ziehen. Du tippst die Rosette an. Ist die Pussy okay? Bohrst dich rein. Wie reagiert sie, will sie es wirklich? Und was traut sie sich zu? Bis du ihn drin hast, weißt du nicht sicher, wie es werden wird. Erst das Eindringen bringt dann die Erleuchtung, so Murat ungefähr. Während seiner Ausführungen malte ich auf die Rückseite eines Bierdeckels: Murat Aktas, führender deutscher Phickfilosof, geboren anno 1986 zu Berlin-Neukölln.
Motte war weich und ausgeleiert, vertrug dementsprechend einiges, das hatte auch seinen Reiz. Wir rotzten uns in ihr leer, erst ich, dann Murat, und als wir den Park verließen, stellte ich erfreut fest, dass ich eine gute Stunde lang kein einziges Mal an Philipp gedacht hatte.
Nächste Station war das Dark, im Prinzip unser Stammladen, mittendrin in unserm Viertel. Türklingel und Gesichtskontrolle. Stört uns aber nicht, wir gehören dazu. Die Mischung stimmte fast jede Nacht. Ein paar alteingesessene Opis, junges Gemüse, frisch in der Stadt, sogar der eine oder andere Türke, etliche von diesen grimmig blickenden Muskelglatzen um die Vierzig, Asiaten, Schwarze, Tunten von der Kleinkunst und eine handvoll Touristen, die es endlich mal wissen
wollen.
Wir tranken am Tresen Bier, gezapft, wir hatten es nicht eilig. Murat musterte mich nachdenklich. «Bist irgendwie komisch heute.»
«Wie denn?»
«Nervös? Mit den Gedanken woanders?»
«Keine Ahnung. Nicht, dass ich wüsste.» Ich fühlte mich beschissen, ihn anzulü gen. Warum brachte ich es nicht fertig, ihm einfach zu erzählen, was mir in der Woche passiert war?
«Jungs, von Klaus.» Der Keeper stellte uns zwei Schnäpse hin. Wir hatten Volle-Kanne-Klaus nicht bemerkt, er musste im Keller gewesen sein, jetzt prostete er uns vom abgewinkelten Ende des Tresens zu, ein frisches Pflaster überm Auge. Neben ihm, aber wohl nur zufällig, saß ein zartgliederiger Junge, auf Punk getrimmt, schwarze Irobürste, schwarzes, zerlöchertes Turnhemd, Lederarmbä nder. Als wir Klaus zuprosteten, sah mir der Junge fragend in die Augen. Waren sie geschminkt? Ich fixierte ihn. Er schaute rasch weg.
Auch Murat hatte einen Verehrer, er lehnte in der Tür, die nach hinten und zum Keller führte, ein Jeanstyp Mitte, Ende zwanzig, Solarium- und Goldkettchenfraktion. Und Murat ging drauf ein. Aus seinem Beuteraster wurde ich nicht schlau. Er feixte mir zu und rutschte von seinem Hocker. «Bis später, Fratz.»
Der Punk beobachtete uns. Ich sah seine Anspannung. Kaum war ich allein, traf mich wieder sein fragender Blick, diesmal nur kurz. Seine Unsicherheit reizte mich. Ich trank mein Glas aus und schob es von mir weg. War ich nicht selber unsicher? Im Park oder hier kam ich selbstbewusst rüber, aber was für eine Jammerfigur war ich
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