Murats Traum
meinst, ob er Bescheid weiß? Dass ich hier rummache? Meinst du das?»
«Ungefähr. Ja.»
«Klar.»
« Was, klar?»
«Er weiß Bescheid. Ich weiß es von ihm, er weiß es von mir.»
«Und das geht?»
«Irgendwie schon. Wir haben erst gar nichts andres versucht. Ich meine, wie sollte es denn sonst gehen? Kannst du mir das verraten?»
Am Meer
Tagelang hörte ich nichts von Philipp. Von wegen, ich will dich, dachte ich. Das war’s dann wohl. Wahrscheinlich hatte er sich längst getröstet – und zwar nicht bloß mit Mister Plug. Inzwischen schämte ich mich nur noch für die Szene beim Frühstück. Kö nnte man doch die Zeit zurückdrehen! Ich bezweifelte, dass er mir noch eine Chance geben würde, aber falls es doch dazu kommen sollte, wollte ich ihm zeigen, dass es mir leid tat.
Und warum rufst du ihn nicht einfach an, fragte ich mich unentwegt.
Philipp kam mir zuvor. Seine SMS klang irgendwie unpersönlich und war außerdem nicht nur an mich gerichtet. Hi Oliver und Murat, will übers weekend mit Freunden ans Meer, habt Ihr Bock mitzukommen? Gruß Philipp.
Was bedeutete das? Spielte er irgendein linkes Spielchen mit mir?
Ich rief Murat an und erzählte ihm von der Einladung. Er wollte ebenfalls gleich wissen, woher Philipp meine Nummer hätte. «Von der Komparsenliste.» Das war ja nicht mal gelogen – wenigstens das. Eigentlich erwartete ich, dass er ablehnen würde. Stattdessen schwieg er erst eine ganze Weile und meinte dann kleinlaut: «Du lachst jetzt nicht, okay, Fratz?»
«Worüber denn?»
«Ich war noch nie ... am Meer.»
«Wo gibt’s da zu lachen? Ist doch traurig. Dann lass uns einfach mitfahren.»
Soweit war alles glatt gegangen, jetzt kam der schwierigere Teil, das Telefonat mit Philipp. Seine Stimme klang munter und freundlich, ohne dabei im Geringsten zu verraten, dass zwischen uns noch irgendwas war. Wir verabredeten, dass er Freitag mit dem Auto zur Werkstatt kommen würde, um Murat und mich einzusammeln. Ich hätte ihn gerne irgendwas gefragt, aber seine unverbindliche Art blockierte mich.
Punkt vier stand am Freitag sein Polo vor der Werkstatt. Wir quetschen uns mit auf die Rückbank. Auf dem Beifahrersitz saß Carlo, Philipps Ex, wie sich herausstellte, ein stämmiger Typ mit schwarzem Fünftagebart. Er war Mitte dreißig und gab uns die Hand. Hinten sein Freund, Paul, gerade neunzehn, klein und kompakt. Wir nahmen ihn in die Mitte. Paul schaffte es, das Eis zu brechen. Er hatte eine Narbe in seinem frechen Gesicht, seitlich unterm Jochbein, eine Messernarbe, mehr erfuhren wir nicht. Er lernte Krankenpfleger und betrieb irgendeinen Kampfsport, dessen Namen ich mir nicht merken konnte, trainierte viermal die Woche. Murat hörte aufmerksam zu. Er war selber Kunde in so einem vergammelten Kampfsportstudio, allerdings ohne Ehrgeiz, ganz im Gegensatz zu diesem Energieb ündel zwischen uns. Jean Claude van Damme war sein Idol, aber irgendwie augenzwinkernd, denn er nannte ihn Schnuff, als wären sie die besten Kumpels. Er zählte uns vier oder fünf Schauspieler auf, die alle unter einssiebzig waren, und wusste die ulkigsten Tricks, damit es im Kino keiner merkte. «Wenn Schnuff neben irgendwem hergeht, siehst du nie die Füße von den beiden. Weil nämlich der andere in einem Graben laufen muss.»
Wir lachten über seine Geschichten, und der Kleine lachte mit. Er war absolut lecker in seinen ausgebleichten Jeans mit den klaffenden Rissen, seinen strammen Schenkeln darunter. Ich fühlte mich befangen und sah immer wieder aus dem Fenster. Beobachtete mich Philipp im R ückspiegel? Über der Sitzlehne schimmerte die Haut seines Nackens, die samtweiche Stelle, wo ich ihn geküsst hatte und beim Ficken auch gebissen.
Er fuhr sicher und schnell. «Solange die Sonne scheint, können wir noch ins Wasser», sagte er. «Nachts wird’s rasch zu kühl. Abendsonne, das wär’s, Kinder.»
Wir kamen zeitig genug ans Ziel. Eine Bungalowsiedlung im Nirgendwo zwischen zwei Ortschaften, f ünfzehn oder zwanzig hölzerne Bruchbuden gleich hinter den Dünen im Wald, und zu einer davon hatte Philipp von irgendwem den Schlüssel. Ein einziger Raum von ungefähr vier mal fünf Metern, ein Tisch, eine Kochstelle mit Gasflasche, unterm Fenster ein Stapel Matratzen. Für alle Hütten zwei Klos nebst zwei Kaltwasserduschen im Freien mit Blechdach und Meerblick. Ich war erleichtert, dass es nicht luxuriöser zuging, weil ich noch Murats Gemaule über Philipp im Ohr hatte. An dem Tag gaben seine
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