Murats Traum
Plug, wie ich ihn manchmal nenne. Was ist damit?»
«So nennst du ihn manchmal, ja?»
«Ja, wieso?»
«Ihr seid wohl gute Freunde, ihr beide?»
«Manchmal schon.»
«Interessant. Ich meine, sagst du zu ihm, guten Abend, Mister Plug?»
«Das habe ich schon mal gesagt zu ihm, stimmt.»
«Und ihr geht auch zusammen aus, dein Freund und du?»
Philipp witterte, dass irgendwas nicht stimmte, und gab mir keine Antwort.
«Wie muss ich mir das vorstellen?» Ich hatte das Gefühl, dass mein Gesicht anfing, sich zu verzerren, aber ich kam nicht runter von meinem Horrortrip. «Du sagst, Guten Abend, Mister Plug, und dann stopfst du ihn dir rein? Und rennst los und gabelst irgendwelche Typen auf?»
«Warte mal ...» Er sah mich erschrocken an.
« Ich warte. Und?»
«Dein Ton gefällt mir nicht.»
«Oh, pardon. Mein Ton. Sind wir empfindlich?»
«Oliver, bitte!»
«Oliver, bitte was? »
«Okay.» Er stand auf. Mein Philipp, große, traurige Augen und ein harter Mund. «Ich ahne, worauf du hinaus willst.»
«Ich will auf gar nichts hinaus. Antworte mir einfach!»
«Pass auf.» Seine eisige Ruhe plötzlich. «Und hör mir zu. Mister Plug kommt in meinen Arsch rein, wann immer ich Lust auf ihn habe. Verstanden?»
Ich antwortete nicht. Wie ich mich jetzt beim Schreiben schäme! Und wie hässlich ich gewesen sein muss!
«Und wenn ich Lust darauf habe, Mister Plug durch Herrn Meier oder Monsieur Miller zu ersetzen, dann ist das ganz allein meine Sache. Das war vor dir so und das wird so bleiben, egal ob wir beide noch zehn Sekunden oder zehn Jahre miteinander zu tun haben.»
Zehn Sekunden, dachte ich und wollte auch aufstehen und gehen.
«Moment, ich bin noch nicht fertig.»
Ich hätte ihm am liebsten eine gelangt, aber irgendein Schutzengel hielt mich zurück.
«Du wirst jetzt wohl besser gehen. Aber du sollst noch eins wissen. Ich mag dich. Ich will dich öfter treffen. Ich will sehen, wohin uns das bringt. Aber wenn du so anfängst wie eben, erstickt es schon. Du erstickst es. Dieses Gefühl. Und mich auch.» Er räusperte sich, seine Stimme wurde leiser. Er klang plötzlich irgendwie mutlos. « Ich will ganz ehrlich sein. Ich kenne mich. Ich will dich. Und ich hoffe, du willst mich auch. Du kannst mich haben. Aber du wirst niemals der einzige sein.»
Wie betäubt stand ich auf der Straße vor Philipps Haus. Beobachtete er mich von seinem Balkon? Ich sah nicht hoch. Seine Worte schwirrten in meinem Kopf und formierten sich erst ganz allmählich zu zwei Fronten. Ich will dich, schmetterte es von der einen. Und die andere höhnte: Du wirst nie der einzige sein.
Ich lief den ganzen Weg nach Hause, über zwei Stunden quer durch die Stadt, und fühlte mich hundeelend. Am Abend würde Murat von seinem Job beim Messebau zurückkommen; wir waren locker verabredet. Ich holte mein Sportzeug und nahm mein Handy mit zum Training, damit er mich erreichen konnte. Das Wochenende fing an, wir wü rden um die Häuser ziehen. Alles wäre wieder wie vorher. Vor Philipp. Ich blieb über drei Stunden im Studio und pumpte mein doppeltes Pensum, anschließend noch zwei Stunden Sauna, als müsste ich die letzten Tage aus mir rausschwitzen wie eine Grippe mit sonderbaren Fieberträumen. Ich kam gerade aus der Dusche, als Murat anrief.
«Fette Kohle», rief er. «Ich lad dich ein. Und ich brauch dringend was zu ficken!»
Ich holte ihn um acht in der Werkstatt ab. Er machte sich gerade noch die Haare, dieses Strähnchen hier hoch, jenes zwei Millimeter weiter nach da ... Ich hockte genervt auf seiner Liege. «Nu lass doch mal deine Haare. Machst ein Theater wie ’ne Schwuchtel.»
«Pass auf, was du sagst», grollte er, ohne den Blick vom Spiegel zu wenden. Natürlich war das hundert Prozent als Spaß gemeint. Oder? Plötzlich war ich mir nicht mehr so sicher. Er hatte sich eine neue Lederjacke geleistet, knatschgrün, die Ä rmel hoch weiße Streifen. Sah brutal aus. Er umtänzelte mich, schlug eine linke Gerade, haarscharf abgebremst vor meinem Kinn. «Schlechte Nacht gehabt? Machst ’n Schlaffen?»
Ich zuckte mit den Achseln. Für die Kneipen war es noch zu früh. «Park», entschied Murat, «zum Aufwä rmen.» Er stand unter Volldampf. Ich roch das Gel in seinen Haaren und den Weichspüler von seinem T-Shirt. Hatte ich ihn vermisst? Wir passierten forsch das barocke Schnörkeltor, fläzten uns auf eine Bank und beobachteten das Revier. Manche haben Angst vor uns und verdrücken sich aus dem Laternenlicht, dann kann
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