Murats Traum
wie lange das schon ging mit den zweien, Murat hat es mir nie gesagt. Ich hatte immer gedacht, sie wäre eine Lesbe. Er nahm mich zu ihr mit. Ihre Schwester war Malerin, dauernd mit irgendwelchen Stipendien im Ausland, und Delia hatte einen Schlüssel zu ihrem Atelier unterm Dach einer verrotteten Fabrik. Chaos und trotzdem Platz, hohe Decken, Licht, wir fühlten uns wohl. Wir brachten ein kaltes Sixpack mit, verriegelten die rostige Stahltür und zogen uns (bis auf die Schuhe) völlig aus – so wollte es Delia. Sie wusste überhaupt, was sie wollte. Oh, ja. Das war ihre Haupteigenschaft, und sie legte großen Wert darauf, dass es jedem deutlich wurde. Sie war sehr hungrig, aber ich ahnte bald, dass sie nie satt wurde. Vor den richtig großen Jungs hatte sie wohl noch Angst, da kamen solche wie wir ihr zum Rumprobieren wie gerufen. Alleine hätte ich Delia nicht besucht. Aber um Murat nackt zu sehen, hätte ich jede Strapaze auf mich genommen. (Außerdem, eine Möse geht ja in Ordnung, solange du noch nichts anderes kennst.) Wir fickten sie abwechselnd, jeder zwei, dreimal, je nach Tagesform. Zwischendurch hatte sie ständig irgendwelche Einfälle. Einmal bemalte sie unsere Körper mit sonderbaren Ornamenten. Ich glaube, sie war eifers üchtig auf die Arbeit ihrer Schwester und spielte im Atelier deren Rolle, ließ immer gerne die Künstlerin raushängen. Ein andermal breitete sie eine Plane am Boden aus und kippte eine Flasche Öl aus. Wir wälzten uns zu dritt in der Pfütze, dazu lief irgendwelche weichgespülte Urwaldmusik mit Tierstimmen und Wasserrauschen.
Die Sache mit Delia endete abrupt. Ich war dabei. Es war ein Herbsttag mit Dauerregen. Sie hätte uns satt, erklärte sie ohne Umschweife, wir sollten uns verpissen. Rumms, die Stahlt ür zu. Da standen wir mit unserm kalten Sixpack und unsrer Geilheit.
Murat war stinksauer. «Spinnt die, oder was?»
«Komm, gehen wir.»
«Scheiße, Mann, ich hab aber Druck! » Er griff sich in den Schritt und spuckte aus. Ich zog ihn am Ärmel. Putzbrocken knirschten auf der Treppe; das Gebä ude stand größtenteils leer. Murat stapfte kopfschüttelnd neben mir her. In der zweiten Etage trat er wütend gegen eine dieser schweren, hohen Türen – und sie ging ächzend auf. Eine niedrige Halle, schwarzer, öliger Steinboden mit Umrissen, wo früher große Maschinen gestanden hatten. Schwalbennester. Kaputte Fenster und draußen der unaufhö rliche Regen, der uns nicht unbedingt ins Freie lockte. Wir setzten uns auf eine Werkbank und ließen die Beine baumeln, jeder ein kaltes Bier in der Hand. Murat war auf einmal sehr still, irgendwie in sich gekehrt.
«Was ist?», fragte ich.
Er schwieg.
«Bauen wir einen?»
«Hab nix.» Er klang gereizt.
«Macht nix.»
« Echt, Mann. Jeden Tag das Zeug. Ich meine, ich merk es doch. Wie das funktioniert. Gibt’s Stress, denk ich sofort, ich brauch was zu rauchen. Gras her! Will ich aber nicht. So bin ich nicht.»
«Okay. Kein Stress.»
Er stemmte sich von der Werkbank runter und ging zur nächstbesten Wand. Ich hörte ihn pissen. Ich dachte an seinen Schwanz, diese dunkle Geschmeidigkeit, wenn er nicht hart war. Ich hörte seinen Strahl, wie er nachließ, abbrach.
«Scheiße, Alter, was geht jetzt ab?» Er kam zurück und schnappte mit mürrischem Gesicht eine neue Bierdose, die ich ihm hinhielt. Ich sah seinen Hals, wie er trank, die Dose in einem Zug leerte. In hohem Bogen wegschmiss. Das dünne Geräusch, mit dem sie irgendwo aufschlug. Ich spürte wieder dieses Fieber in ihm, unter dem er so litt.
«Holen wir uns eben einen runter», schlug ich achselzuckend vor. «Ist ja nicht das Ende der Welt.»
« Vergiss es», rief er. «Mein Schwanz und meine Hand, die haben neuerdings so einen Partnervertrag. Einmal die Woche, höchstens!»
Es regnete und regnete. Murat fluchte auf das Leben und die Weiber, und beim dritten Bier fühlte ich plötzlich wieder diesen Leichtsinn wie damals im meinem Zimmer nach der Schule. Ich sagte: «Reg dich ab, Alter. Ich kann dir ja einen blasen.»
Die Stille zwischen uns. Nur das Rauschen des Regens von draußen.
Murat sah mich unglä ubig an.
Ich nickte lässig, dabei wackelten mir die Knie. «Why not? Kleiner Freundschaftsdienst.»
«Oliver?»
Ich duckte mich innerlich, denn er nannte mich niemals Oliver. (Höchstens Olli, manchmal Fratz, seine Kurzform von Fratzelt, was leider mein Nachname ist.)
«Was?»
«Ach, nichts. Vergiss es.»
«Komm schon.»
«Nichts Besonderes. Es gibt
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