Murats Traum
der offenen Balkontür. Ich hätte ihm bei Gelegenheit lieber selber beigebracht, dass ich jetzt auch passiv war. Außerdem hoffte ich, dass er kein Theater machen würde, weil der Kleine mich fickte. Blieb nicht schließlich alles in der Familie?
Keine Ahnung, ob der Kleine ihn mit einem Blick herangeholt hatte, aber als sich Murat neben uns auf die Bettkante setzte, ging es mir gleich besser. Wir hatten uns nie gestreichelt. Konnten wir darauf etwa stolz sein? Ich griff nach seiner Hand, und er ließ sie mir. Sie roch nach Sex, genau wie das Laken. Ich dr ückte mein Gesicht hinein und stöhnte in seine feste, warme Handfläche. Auch für Paul war es befreiend. Er ließ sich jetzt gehen, trieb wimmernd und röchelnd seinen dicken, steifen Schwanz in mich rein, und es kam mir vor, als kämpfte er um sein Leben. Ob Murat das auch so empfand? Er blieb still neben uns sitzen. Eine Hand gehörte mir. Die andere, soweit ich das mitbekam, streichelte Pauls Rücken.
Und dann war es wieder so weit. Der Kleine presste sich mit seiner ganzen Kraft in mich hinein und stieß einen langen, klagenden Schrei aus. Seine Arme umschlangen meinen Brustkorb. Sein Schwanz b äumte sich in mir auf. Auch diesmal fühlte ich wieder sein Sperma und presste meinen stöhnenden Mund in Murats Hand.
Ach, Murat, Murat. Beim Anblick seines Gesichts erschrak ich. Hasste er mich jetzt sogar? Der Kleine wälzte sich erschöpft zur Seite. Ich setzte mich auf. Murat sah mich kurz an, bevor er aufstand, und in seinen Augen herrschte eine solche Verzweiflung, dass ich zurückprallte. Alles zwischen uns stand auf dem Spiel. Er ging zur Balkontür und sah hinaus. Das Schweigen presste unsere Lungen zusammen. Wir waren zu weit in die Tiefe vorgedrungen. Der Kleine spürte die Gefahr, legte seinen Arm über die Augen und stellte sich tot.
«Ich geh mal duschen », sagte ich mit belegter Stimme und verließ schnell das Zimmer.
Das hatte mir noch gefehlt, ein scheiß Eifersuchtsdrama! Selber Schuld. Ich hätte es schließlich wissen müssen. Warum hatte Murat nicht gleich auf dem Dach gesagt, heh, Leute, halt mal?
Ich war so überzeugt von Murats Eifersucht, dass ich auf gar keine andern Ideen kam.
Wir begegneten uns an dem Tag nicht mehr. Erst war ich draußen unterwegs, Post, Drogerie, Supermarkt, brav nach einer Liste von Philipp, und bei meiner Rückkehr fand ich die Wohnung leer. Murats Zimmertür stand offen. Ich sah das zerw ühlte Bett. Ging er mir aus dem Weg? Oder war es umgekehrt: dass ich ihm nicht begegnen wollte, weil ich mich schuldig fühlte? Jedenfalls verstaute ich die Einkäufe, briet mir ein paar Eier und machte mich aus dem Staub, seit Wochen zum ersten Mal wieder mit Jeans und festen Schuhen. Nach dem stundenlangen feinen Regen sank am Nachmittag die Temperatur. Ein erster Hauch des bevorstehenden Herbstes hing in den Straßen, und ich streunte lange ziellos durch die Stadt, die mir mit ihrer gewaschenen Luft wie verjüngt vorkam. Oder lag es daran, dass ich selber älter geworden war?
Murat ging mir nicht aus dem Kopf, sein verzweifeltes Gesicht. Ich wollte doch gar nichts von seinem Kleinen. Von mir aus sollte er ihn heiraten und hinter einem Schleier verstecken! Warum machte er eigentlich ständig Stress? Er war ein anstrengender Freund. Obwohl ich die Nacht ohne Philipp ursprünglich irgendwo draußen hatte verbringen wollen, lief ich gegen Abend nach Hause zurück. Es w äre ein Fehler gewesen, Murat auszuweichen oder auch nur den Eindruck zu erwecken. Er war jedoch noch nicht aufgetaucht. Ich versuchte es mobil – abgeschaltet. Also beschloss ich zu warten und machte es mir mit einer Menge Futter vor dem Fernseher gemütlich, bis mir nach Mitternacht die Augen zufielen und ich rüberwechselte ins Schlafzimmer.
Irgendwann weckte mich mein Handy. Ich hörte ein schweres Atmen, dann Murats Stimme: «Hab ich dich geweckt?» Draußen eine Vorahnung des Tageslichts.
«Nicht doch. Ich sitze in der Küche und lege mir die Karten, wie immer um die Zeit.»
Er lachte nicht. Wieder dieses schwere Atmen. Hatte er getrunken? «Ich muss mit dir reden», sagte er.
«Ja. Gut.»
«Hast du Zeit?»
«Klar.» Jetzt hörte ich deutlich, wie er einen Schluck trank, aus einer Flasche. «Was trinkst du? »
«Nichts. Ich dachte, ich muss mir Mut antrinken.»
«Musst du nicht.»
«Was weißt denn du.»
Ich schwieg. Auch Murat sagte nichts, und so fragte ich schließlich: «Ist es wegen Paul? »
«Nein.» Er zögerte. «Es ist
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