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Murats Traum

Murats Traum

Titel: Murats Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabian Kaden
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...»
    Ich ließ ihm Zeit und wurde allmählich hellwach.
    «Dass du dich ficken lässt », sagte er.
    «Jetzt weißt du es also.»
    «Das meine ich nicht. Ich wusste es ja längst. Ich sehe doch, wie du dich veränderst.»
    «Tänzle ich neuerdings? »
    «Nein, im Gegenteil. Als ob dich irgendwas erdet und ausbalanciert.» Er stöhnte gequält. «War es Philipp?»
    «Der erste? Ja.»
    «Wie, und jetzt auch noch andere? »
    «Ja.»
    «Oh, Mann.» Er nahm wieder einen glucksenden Schluck. «Und wie kriegst du das hin, ich meine, wie wirst du damit fertig?»
    «Gut. Ich mag es. Ich will es.»
    Murat schwieg ungl äubig.
    «Das war nicht immer so. Früher hab ich es nicht gewollt. Oder noch nicht gewusst.»
    «Das sagt Paul so ähnlich.» Er seufzte gequält. «Mit dreizehn hat er angefangen, alles zu ficken, was irgendwie stillhielt. Aber erst mit sechzehn fing er an zu kapieren, dass er auch selber ’ne Muschi hat.»
    «Und du bist nicht sauer wegen ihm?»
    «Nein, wirklich. Es ist ... Ich hab ja gesehen, wie er es gebraucht hat. Ich meine, sah doch wirklich dringend aus, das. Mit dir, das war okay. Aber ich hab plötzlich gedacht, dass er es sich immer woanders holen wird. Wenn er es bei mir nicht kriegt, verstehst du?»
    Ich begann zu ahnen, worin Murats Kummer bestand.
    «Sorry», sagte er eilig, «ich bin wohl besoffen.»
    «Wof ür entschuldigst du dich?»
    «Ich weiß nicht. Tu ich ja nicht. Ich will dir was erzählen. Hörst du mir noch zu?»
    «Ja.»
    «Da war dieser Traum. Ist schon so viele Jahre her. Wir kannten uns noch nicht. Noch lange nicht ... Ich war h öchstens in dem Alter, wo das Wichsen anfängt. Egal. In dem Traum hatte ich einen besten Freund, so was wie dich, aber wir waren nicht in der Stadt und alles fühlte sich viel glücklicher an, eben ein Traum. Ich erinnere mich nicht, wie er aussah, aber wir waren sehr eng, auch körperlich, ich kann das nicht beschreiben, aber auch unsere Körper waren in dem Traum immer irgendwie dicht zusammen, und es steigerte sich immer noch, beim Schlafen oder Rumtoben, in jeder Bewegung war er da, wie ineinander, so dicht, im Laufen, im Liegen, und ich war so glücklich, wie es das im Wachsein niemals
    gibt.»
    Ich wartete. Und erinnerte mich, dass er schon einmal von einem Traum angefangen hatte. Vor Jahren in Delias Fabrik. An diesem Regentag – das erste Mal sein Schwanz in meinem Mund.
    «Oli?»
    «Ja.»
    «Okay. Ich dachte ...»
    «Was denn?»
    «Ich dachte plötzlich, du bist nicht mehr da.»
    «Doch. Ich hör dir zu. »
    «Das war es schon. Ist alles.»
    «Wie, alles?»
    «Der Traum. Der Traum ist aus. Ich weiß nicht, was ich im Schlaf gesagt oder gemacht habe, mitten in diesem großen Glück. Plötzlich wurde es hell. Ich wusste erst nicht, aber es brannte wirklich Licht, die gro ße Deckenlampe, und mein Bruder und meine Schwestern standen mit Mutter im Hintergrund, und mein Vater hatte mir die Decke weggerissen und bestrafte mich. Er schlug mich erst mit der Hand, und als ihm das Handgelenk wehtat, brach er eine Strebe aus dem Doppelstockbett raus und schlug mich weiter. Ich war elf. Er schlug mich fast zehn Minuten lang. Er hat mir nie gesagt,
    wofür.»
    «Murat?»
    «Nein, nein. Ist vorbei. Sag nichts. Jetzt nicht. Alles vorbei.» Geraschel. «Warum ich dich anrufe? Ich weiß auch nicht mehr ...» Lallte er? «Was ist das überhaupt für ’n Gespräch, sag mal? Alter, ich bin voll im Arsch.» Er schien das sehr komisch zu finden oder tat zumindest so, doch dann verschluckte er sich und bekam einen Hustenanfall.
    «Wo bist du denn?», rief ich. «Komm nach Hause!»
    Er schwieg. Das Glucksen der Flasche.
    «H ör auf zu saufen, Mann! Was ist denn los? Sind wir Freunde?»
    «Sind wir? Sind wir. Olifratz. Olischatz. Ich liebe dich wie meinen Bruder. Nein, mehr, mehr, entschuldige.»
    «Komm nach Hause. Oder soll ich dich irgendwo abholen?»
    Wieder sein Schweigen.
    «Soll ich zu dir kommen?»
    «Ja, das würdest du tun? »
    «Klar. Gerne. Wo bist du?»
    «In meinem Zimmer.»
    Die letzten Worte waren kaum noch zu verstehen. Dann beendete er die Verbindung.
     
    Seine Zimmertür war nur angelehnt. Er lag im matten Schein des ersten Tageslichts auf seinem zerwühlten Bett, neben sich auf dem alten Dielenfußboden eine
    Halbliterflasche Wodka, zwei Drittel leer. Er lag nackt auf dem Bauch. Den Kopf auf den Armen. Und schlief. Oder tat so.
    Ich hockte mich neben die Liege. Sein Atem ging gleichmäßig und roch nach Schnaps, aber nicht unangenehm. Ich

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