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Murats Traum

Murats Traum

Titel: Murats Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabian Kaden
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mir; er fü hrte unsern Gänsemarsch an, das Handtuch locker umgeschlungen und mit einer Hand an der Seite zusammenhaltend. Er hat so eine besondere Geschmeidigkeit beim Gehen, wenn er keine Schuhe trägt und gerade gut gefickt wurde. So geht nur er. Ich glaube, alle drehten sich nach ihm um. In den Gängen verstummten die Gespräche. Vor der Dampfsauna angekommen, warf er achtlos sein Handtuch auf eine Bank, und es haute mir fast die Beine weg, ihn vor mir stehen zu sehen. Ich warf mein Handtuch über seins. In meinem Innern brach etwas auf, das bis zu dem Moment verpanzert gewesen war, und ich wurde durchströmt von Schmerz und Glück in einem.
    Jeder merkte, dass zwischen Philipp und mir etwas Besonderes vorging; sie hielten Abstand. Philipp sah mich fragend an und berührte mein Gesicht.
    «Was machst du» , stammelte ich, «was machst du mit mir?»
    «Ich mach doch gar nichts», flüsterte er.
    Ich schob ihn gegen die Wand, drehte ihn einfach nur um. Er stöhnte überrascht auf, als ich schnell in ihn eindrang, im ersten Moment mit der hungrigen Härte all der Jungs und Männer, die er schon gehabt hatte und in seinem Leben noch haben wü rde. Dann kehrte plötzlich Frieden ein. Wir bewegten uns nicht. Ich steckte restlos in Philipp, meine Lippen auf seiner Schulter, die Arme fest um seinen Leib geschlungen, und wir warteten beide mit geschlossenen Augen, bis ich gekommen war. Mein Schwanz hatte seine Wut verloren. Es floss aus ihm heraus wie Tränen, langsam und geborgen. Ich weinte in Philipp.
     
    Eben hat er angerufen. Die Verbindung war wie aus dem Nebenzimmer. Sein Atem schien mein Ohr zu streifen. «Was machst du gerade?», fragte er.
    Ich überlegte einen Moment, eine Ausrede zu finden, die zu seinem munteren Ton passte, aber dann war ich so berührt davon, ihn zu lieben und seine Stimme zu hören, dass ich ganz feierlich erklärte: «Ich schreibe unsere Geschichte auf.»
    «Ah. Du schreibst. Unsere – Geschichte auf. Klar.»
    «Ja.»
    «Darf ich sie lesen?»
    «Ich weiß noch nicht. Ich meine, ich weiß noch nicht mal genau, wovon sie eigentlich handelt. Auß er natürlich von uns.»
    Stille am anderen Ende. Dann: «Oliver?»
    «Was?»
    «Ich weiß nicht, was ich sagen soll.» Er klang jetzt ebenfalls ernst und irgendwie gerü hrt.
    «Dann sag nichts.»
    «Okay», sagte er.
    «Okay», sagte ich.
    «Nur eins noch», sagte er.
    «Na?»
    «Ich liebe dich.»
     
    Ich bin froh, mit dem Aufschreiben schon durch zu sein. Hätte ich nämlich von Anfang an seine Frage im Hinterkopf gehabt, ob er es lesen darf, weiß ich nicht. Zum Beispiel, ob ich genau dasselbe geschrieben hätte.
    Oder ob ich so viel über Sex geschrieben hätte.
    Und soviel über Murat.
    Doch, ich glaube, ich lasse ihn alles lesen. Ich weiß es noch nicht. Eigentlich ist es aber auch völlig egal. Vielleicht schauen wir immer viel zu sehr auf das, was war. Natürlich hilft es, sich zu erinnern. Aber man kann frühere Sachen eben auch ausrangieren. Wie ein paar schwere Schuhe mit Stahlkappen.
    Ich sehe ihn dauernd vor mir durch die Sauna laufen. Und wie er dann sein Handtuch wegwirft. Mein Philipp. Natürlich soll er alles lesen. Ich schaue ihm dabei zu. Beim Lesen. Ich beobachte sein konzentriertes Gesicht. Bestimmt gibt es Stellen, wo er leise lacht, und dann frage ich ihn.
    Gemeinsam lachen.
    Ist nicht alles nachgiebig und offen, was vor uns liegt? Ich glaube, man kann eine Menge dabei lernen, wenn man sich ficken lässt. Geben wir unserer kurzen gemeinsamen Zeit nicht zuviel Gewicht, und schon gar nicht den Jahren davor. Denn es geht ja um die Zeit danach. Nach dem Ende dieser Zeilen. Nach seiner Rückkehr aus Tschechien.
    Die Zeit, die vor uns liegt.
    Hatte es nachts geschneit, stand ich immer schon sehr früh auf, damit ich vor allen andern den Schulhof erreichte. Noch keiner war über die Fläche gelatscht.
    Da stehen wir jetzt, Philipp und ich, in der offenen Einfahrt. Nicht mal die Lampen an der Hauswand brennen, so früh ist es noch. Ich nehme seine Hand. Wir blicken auf diese weiße Landschaft, über der so viele Fragen kreisen. Und über die bis zu diesem Augenblick noch kein Mensch irgendetwas hat aufschreiben können.
     

Bonusmaterial 1
     
    aus Stefan Herbst: «Entfesselt»
     
    «Das hier ist Tristan.» Der Fremde wird ihm vorgestellt, ohne dass Leon ihn sehen kann. «Tristan, das hier ist Leon, unser Frischling. Jetzt, wo ihr euch kennt, habe ich eine interessante Aufgabe für euch. Tristan, du bläst Leons Schwanz. Wenn

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