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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 3)
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ist das
Gleiche, wie wenn ihn jemand Arschgeige nennt oder ihn in den Hintern tritt
oder ihm eins auf die Birne gibt: Er strauchelt, geht aber nicht zu Boden und
setzt seinen Weg fort, ohne sich auch nur umzudrehen.
    Der Rest der Bande hätte diese Entwicklungen wohl mit Fug
und Recht beunruhigend finden und womöglich sogar etwas dagegen unternehmen
können, aber die Sache ist die, dass es offenbar keine Bande mehr gibt. Ohne
dass je ein Wort darüber verloren worden wäre, haben sie sich im Klassenzimmer
umgesetzt, möglichst weit voneinander entfernt; nach dem Mittagessen, das er so
schnell hinunterschlingt, wie es bei diesem Fraß zu schaffen ist, spielt Mario
jetzt Fußball im Schulhof, während Dennis und Niall neuerdings mit Larry
Bambkin und Eamon Sweenery zum Rauchen an den See im Park von Seabrook geht;
Geoff schließlich ist nun doch den Verlockungen von Lucas Rexroths Rollenspielgruppe
erlegen und erforscht in seiner Mittagspause als Mejisto der Elf die Schrecken
der Minen von Mythia. Wenn ihre Wege sich auf dem Flur, im Studiensaal oder im
Aufenthaltsraum kreuzen, befällt sie Verlegenheit, ohne dass sie recht wissen,
wieso; das macht sie nur noch verlegener und wütend auf den, der dieses Gefühl
in ihnen auslöst, und darum meiden sie einander binnen Kurzem nicht mehr nur,
sondern gehen zu aktiven Schikanen über - ziehen den anderen im Vorbeilaufen
schnell am Ohr, machen sich über kleine Verfehlungen lustig, plaudern gegenüber
Dritten Geheimnisse aus, die ihnen in glücklicheren Zeiten anvertraut worden
sind, so zum Beispiel neulich abends Dennis im Aufenthaltsraum: »Hey!, alle mal
herhören, wisst ihr, wovor Geoff Schiss hat? Vor Gelatine!«, dabei fuchtelt er
mit einer Schüssel Götterspeise vor Geoff herum, der laut aufquiekt und sich
windet. »Na was ist denn, Geoff? Zu schwabbelig für
dich?«, bis Geoff die Sicherung durchbrennt und er herausplatzt: »Dennis'
Stiefmutter ist gar nicht seine Stiefmutter, sie ist seine richtige Mutter, er
tut bloß so, als wär sie's nicht, weil er sie hasst!« Entsetztes Schweigen bei
Dennis, Gekicher und Gejohle von Mitchell Gogan und den anderen an seinem
Tisch, obwohl es ihnen letztlich so oder so egal ist.
    Es scheint, als wäre Skippy so ein nach nichts aussehender
Stift gewesen, der die ganze Maschinerie zusammengehalten hat; oder vielleicht
gibt jeder Einzelne von ihnen auch insgeheim den anderen die Schuld dafür,
irgendetwas gesagt oder getan zu haben, das ihnen diese Chose eingebrockt hat,
oder irgendetwas nicht gesagt oder getan zu haben, das sie hätte aufhalten
können. Egal, aus welchem Grund, je weniger sie einander zu sehen bekommen,
desto besser, und Ruprecht, der schon immer eher Skippys Freund war als ihrer,
darf sich in seiner Spirale ungestört weiter auf den Abgrund zubewegen.
    Allerdings nicht ohne Parallele. Jemand anders zeigt sehr
ähnliche Symptome, was aber keiner zu bemerken scheint, weil die beiden an
entgegengesetzten Enden des akademischen Spektrums angesiedelt sind. Carls
Katatonie ist natürlich nur die neueste Phase in einem langen
Abkopplungsprozess; anders als bei Ruprecht ist sie zudem mit unzähligen Tics
und Zuckungen durchsetzt - seine Augen schnellen hin und her, er blickt
fortwährend über die Schulter, fährt vor Schatten zurück. Doch der Gang der
zwei ist identisch: Sie schleppen ihre schweren Leiber durch die Flure wie
Wachspuppen, um nicht zu sagen, wie Tote.
    Trotz alledem scheint die Schule allmählich zu einer
gewissen Normalität zurückzufinden. Der Unterricht ist wieder angelaufen, es
werden Tests geschrieben, Spiele gespielt; die Geschichte ist nicht mehr die
Neuigkeit des Tages und Skippy nicht mehr allen sofort im Gedächtnis; beides
findet nur noch in kryptischen Nebenbemerkungen Erwähnung, als fatales
Beispiel dafür, wie man die Dinge falsch angehen kann: »Tupac hatte schon
recht, Mann-Geld kommt vor Weibern.«
»Yo, Alter.«
    »Das Leben geht weiter, Howard«, sagt der Automator. »Wir
alle tragen ein Stück von Juster in unseren Herzen und werden es immer tun.
Aber wir müssen voranschreiten. Darum geht es im Leben. Und das tun unsere
Jungs. Ich muss sagen, ich bin stolz auf sie.« Er wendet sich dem Jüngeren zu.
»Und ich bin stolz auf Sie, Howard. Sie haben da eine schwierige Entscheidung
getroffen. Dazu braucht man Reife und Charakterstärke. Aber ich wusste, dass
Sie das Zeug dazu haben.«
    Am Abend zuvor hat Howard den Vertrag unterschrieben. Er
weiß selbst nicht genau, warum - ein

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