Murray, Paul
ultimativer Akt der Selbstsabotage? Die
endgültige, allumfassende Auslöschung seiner Hoffnungen? Fragen, denen er nicht
genauer nachgehen will. Stattdessen macht er die Runde in seinem neuen Leben
und findet ein perverses Vergnügen an dem Schuldgefühl, das Tag und Nacht in
seinem Kiefer wütet wie ein verfaulter Zahn. Wenn er im Lehrerzimmer sitzt,
beneidet er die Kollegen um ihr geistloses Geschwätz, ihre uralten Witze, ihr
Gemecker und Gejammer - eine Welt, die für ihn verloren ist. Er beneidet auch
Pater Green, und wenn dieser zu seinen Gängen aufbricht, verspürt Howard mitunter
den Drang, zu ihm ins Auto zu springen, auszuhelfen, etwas
Gutes zu tun. Doch die Verachtung, die ihm bei den Begegnungen mit dem Pater
auf dem Flur entgegenschlägt, ist vernichtend.
Was Tom Roche betrifft, so läuft Howard ihm zurzeit
praktisch an jeder Ecke über den Weg. Es ist verfügt worden, dass er sicherheitshalber
ins Ausland versetzt wird; aber solange der Vorstand noch nach einer passenden
Stelle sucht, soll er weiterhin Unterricht geben und die Schwimmmannschaft
trainieren, als wäre nichts vorgefallen. Und das tut er, ziemlich überzeugend;
und auch das, denkt Howard, erfordert mit Sicherheit Reife und Charakterstärke.
Lori leistet tapfer trauerarbeit . In der
Schule macht sie keine große Sache daraus, sondern benimmt sich wie immer,
lächelt und lacht ganz wie die alte Lori, und nur wenn man genau hinschaut,
merkt man, dass sie ein klitzekleines bisschen stiller und blasser ist, und
manchmal guckt sie weg, aus dem Fenster, und ein trauriger Schatten huscht über
ihr Gesicht. Aber Mom und Dad machen sich große Sorgen um sie. Sie legen ihr
jeden Tag, wenn sie heimkommt, ein kleines Geschenk in ihr Zimmer, und neulich
am Samstag meinte Mom, sie sollten sich heute mal einen Mädchentag gönnen -
nur Mom, Lori und die Kreditkarte! Sie sind zum Friseur gegangen und zur
Kosmetikerin und haben bei Brown Thomas Schuhe gekauft, es war ein Heidenspaß!
Aber als sie dann im Cafe saßen, hat Mom ihre Hand auf Loris Hand gelegt und
Ach, Schätzchen! gesagt, und unter ihrer Sonnenbrille sind Tränen
hervorgequollen, und Lori hat auch angefangen zu weinen, und sie haben sich
umarmt und gemeinsam geweint, die anderen Frauen in dem Cafe müssen sich sonst
was gedacht haben!
Er war ein ganz reizender Junge, aber er hatte Probleme,
hat Mom gesagt, als sie mit Weinen fertig waren. Dein Dad hat mit dem Direktor
von Seabrook geredet, der ist ein sehr guter Freund von ihm, und er hat gesagt,
leider hätte der Junge eine Menge Probleme gehabt. Es gibt nun mal solche
Menschen, und man muss akzeptieren, dass man ihnen nur bis zu einem gewissen Punkt
helfen kann, und dann ist man machtlos. Und - Mom fing wieder an zu schniefen
- Kleines, ich weiß, das kannst du dir jetzt überhaupt nicht vorstellen, aber
eines Tages wird dein Herz heilen, und du wirst wieder einen Menschen lieben
können.
Und für eine Sekunde stieg ein wohlig warmes Mochaccinogefühl
in Lori empor, doch dann sagte Mom, Dad wolle sie zu einem Kinderpsychologen
schicken, und das Gefühl wurde schal und kalt. Ein Kinderpsychologe, der in
ihrem Gehirn herumstochert, um alles herauszufinden? Und dann Mom und Dad erzählt,
was wirklich abgelaufen ist? Einen Moment lang dachte Lori, sie würde hier und
jetzt auf den Tisch kotzen, aber dann sagte Mom, Ich hab zu ihm gesagt, ich
fände das nicht nötig, weil du alles in allem doch sehr gut allein damit fertig
wirst. Du hältst dich so tapfer, sagte sie, ich bin so stolz auf dich, und dann
fing sie von der Frau von der Modelagentur an, die angerufen hat, nachdem sie
die Bilder von Lori in der Zeitung gesehen hatte, und die Lori gern kennenlernen
möchte. Wir sollten dir unbedingt ein neues Outfit besorgen, sagte Mom, und
vielleicht auch noch zum Zahnarzt gehen und dir die Zähne bleichen lassen, bei
solchen Leuten hat man nur eine Chance.
Von den Lehrern und den Nonnen und den Mädchen aus ihrem
Jahrgang sind die meisten echt nett zu ihr gewesen, aber klar, wie Bethani so richtig sagt, wenn jemand die Aufmerksamkeit auf sich zieht oder Erfolg
einheimst, finden sich immer Feinde und welche, die einem alles vermiesen
wollen, so wie gestern zum Beispiel, da hat sie zufällig gehört, wie Mirabelle
Zaoum gesagt hat, Mein Gott, es reicht also, dass irgend so ein Loser deinen
Namen irgendwo auf den Fußboden schreibt,
und schon bist du der Star der Schule. Janine sagt, Lass dich von denen ja
nicht runterziehen, Lori, und sie hat für
Weitere Kostenlose Bücher