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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 3)
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Er ist allein in dem schwarzen
Feuer. Er ist so traurig! Aber der Rauch ist so weich, er hüllt ihn ein wie
eine Decke. Also legt er sich hin.
    Weit weg, in seiner Hand, klingelt sein Handy. Das ist die
Welt, sie sagt ihm, es ist Zeit zu sterben. Aber das ist okay, er denkt an
andere Dinge. Er denkt an den ersten Abend, als Lori auf ihn zugekommen und
über ihn weggefegt ist wie eine leuchtende weiße Welle. Trotz allem, was war,
den Abend kann ihm keiner nehmen, und er hält ihn fest in seiner Dämonenhand,
als der Rauch sich über ihm türmt, zur Tür wird, die sich langsam öffnet.
    Und als er das Singen hört - so weit, weit fort,
umschlossen von seinen Fingern! -, denkt er trotz allem, was war, dass es ihre
Stimme ist, ein Lied, das ihn ruft, wieder und wieder ruft, dorthin, wo sie
wartet, es singt ihn in den Schlaf.
    Aber es geht niemand ran. Sie legt auf, geht zum Fenster.
    Draußen ist ein komisches rotes Licht am Himmel, und überall
heulen Sirenen, doch Lori kann nicht sehen, wo sie sind oder woher sie kommen.
Die Pillen liegen aufgereiht auf ihrer Kommode, sie setzt sich auf die
Fensterbank und wartet.
    Vor einer Stunde war Ruprecht bei ihr. Jetzt ist er schon
zwei Abende hintereinander gekommen; bei jedem anderen würde sie denken, er
wäre verknallt. Er hat so einen Schlüssel, der für jede Tür passt, zum Beispiel
die Tür am Ende vom Garten, er erscheint unter ihrem Fenster und wirft
Steinchen dagegen, genau wie in Romeo und Julia (bloß mit Jabba the Hütt als Romeo und Skeletor als Julia, ha, ha). An
beiden Abenden hat Schwester Dingle Dienst gehabt, deswegen konnte Lori raus.
    »Ich will bloß ein bisschen frische Luft schnappen.«
    »Okay, Herzchen, aber erkälte dich nicht!«
    »Nein!«, grins-grins, und dann langsam runter bis zur
Pergola, wo er auf sie wartete.
    Als sie gestern Abend aus dem Fenster geschaut hat und Ruprecht
zu sich hochstarren sah, hat sich ihr Herz mit einem Mal wie ein Eisklumpen
angefühlt. Was konnte er denn hier wollen, außer vielleicht sie wieder
anzubrüllen; warum hat sie sich überreden lassen, rauszukommen? Sie ging die
Treppe runter, als wäre sie in einem Traum, einem Traum, in dem man schließlich
unter der Guillotine landet, am ganzen Leib zitternd lief sie über den Rasen.
Er wartete zwischen den Dezemberrosen auf sie. Sie dachte, er würde sie am Ende
schlagen, aber er stand bloß da und starrte sie an. Seit dem Abend bei ihr im
Zimmer war er noch fetter geworden - viel fetter, stellte sie entsetzt fest.
Und auch er war entsetzt von ihrem Anblick, obwohl er sich Mühe gab, sich
nichts anmerken zu lassen.
    Eine Weile schwiegen sie beide. Sie sah die
widerstreitenden Gefühle in seiner Miene, wie er versuchte, den Hass zu
ersticken oder wenigstens zu überdecken. Als er schließlich den Mund aufmachte,
klangen seine Worte kalt und emotionslos. Er wollte sie als Sängerin für sein
Quartett beim Weihnachtskonzert von Seabrook.
    Das kam völlig unerwartet. Sie konnte sich keinen Reim darauf
machen. Als Erstes schoss ihr durch den Kopf, dass das eine Falle sein musste
und er sich irgendwie an ihr rächen wollte, wie in dem Film, wo sie Blut über
das Mädchen auskippen?
    Wir brauchen eine Sängerin, sagte er, Skippy hat mir
erzählt, du könntest singen. Stimmt das?
    Sie sagte nichts.
    Wir versuchen ihm eine Botschaft zu schicken, sagte er,
Skippy eine Botschaft zu schicken.
    Skippy ist tot, sagte sie mechanisch und hatte sofort
dieses grässliche Bild vor Augen, wie sie ihn in ihrem Zimmer küsst, bloß dass
seine Haut ganz grün ist und sein Mund voller Erde.
    Ich weiß, sagte er, wir versuchen es trotzdem.
    Sie wusste nicht, was er meinte, meinte er so was wie ein
Ouijabrett? Es klang merkwürdig, und außerdem sah Ruprecht gar nicht gut aus,
er sah aus, als hätte er Fieber.
    Wie denn?, fragte sie.
    Er fing an, über Strings zu reden. Das sind offenbar so
winzig kleine Dinger, so was Ähnliches wie Saiten, aus denen alles besteht.
Sie gehörten mal zu einem viel größeren Universum, in dem alles miteinander
verbunden war. Aber dann brach es entzwei. Eine Hälfte davon wurde zu unserem
Universum, das wuchs und wuchs und sich immer schneller ausbreitete, mit Sonnen
und Planeten, einschließlich dem Planeten Erde. Die andere Hälfte machte das
Gegenteil, sie schrumpfte zusammen, bis sie so winzig war, wie man es sich überhaupt
nicht mehr vorstellen kann. Und dieses Miniaturuniversum versteckt sich in
unserem, es ist bloß zu klein, als dass man es sehen oder

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