Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
Vom Netzwerk:
inzwischen nahezu
abgeschlossen: Die hochlehnigen afrikanischen Stühle sind durch ergonomische
Büromodelle ersetzt worden, und nur noch das Aquarium an der Tür, in dem die
bunten Fische, unbekümmert um all die Veränderungen, wie eh und je gelassen
ihre Bahnen ziehen, erinnert an den früheren Inhaber des Zimmers.
    »Möchten
Sie irgendwas, Howard?«, flüstert Trudy beflissen. »Tee? Kaffee? Saft?«
    »Verdammt,
Trudy, du sollst hier keinen Saft anbieten! Die Lage ist ernst!«
    »Schon
gut, Schatz«, entschuldigt sie sich und legt den Hörer auf, doch im selben
Moment klingelt das Telefon erneut. »Büro des kommissarischen Direktors, guten
Tag.«
    »Verdammt«,
wiederholt der Automator einleitend, ähnlich einer warm laufenden Kettensäge,
und fährt dann lauter fort: »Howard, was zum Teufel... ich meine ... was um
Himmels willen ...?
    »Ich -«,
beginnt Howard.
    »Noch nie
in meiner gesamten Laufbahn als Pädagoge, nicht ein einziges Mal, habe ich auch nur annähernd so etwas erlebt wie das, was ich
gestern Abend hier gesehen habe. Nicht ein einziges Mal. Verdammt - verdammt, ich
hatte Ihnen die Verantwortung übertragen! Hatte ich Ihnen nicht strikte Anweisungen gegeben...
Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, aber ging eine dieser Anweisungen
dahin, die Sache in eine römische Orgie ausarten zu lassen?«
    »N -«
    »Genau,
verdammt! Und jetzt das!« Er zeigt auf das Telefon. »Hier rufen schon den
ganzen Morgen Eltern an und wollen wissen, warum der kleine Johnny vollgekotzt
und noch maulfauler als sonst von einer offiziellen, beaufsichtigten Schulparty
heimgekommen ist! Was soll ich denen denn sagen, Howard? >Sie hätten ihn
mal eine halbe Stunde vorher sehen sollen, in welcher Verfassung er da noch
warfür einen Schlamassel Sie uns da reingeritten haben? Was zum Teufel ist da drin
passiert?«
    »Ich -«
    »Sie
wissen es natürlich nicht, niemand weiß es; es ist das Bermudadreieck. Aber
ich sag Ihnen eins, Howard: Irgendjemand weiß es, und wenn ich rauskriege,
wer, glauben Sie mir, dann rollen Köpfe. Denn wenn diese Leute ...« Er zeigt
erneut auf das Telefon. »O Gott, wenn die wüssten, was tatsächlich passiert
ist ...« Er rauft sich die Haare und wandert verstört auf und ab wie ein
geistig umnachteter, pastellfarben gekleideter Roboter, dann holt er tief Luft
und bleibt vor Howard stehen. »Okay«, sagt er, »wenn wir hier durchdrehen,
bringt uns das auch nicht weiter. Ich will die ganze Sache nicht Ihnen in die
Schuhe schieben. Ich will nur eine Erklärung. Sagen Sie mir also, mit Ihren
eigenen Worten, was genau Sie gestern Abend gesehen haben.« Er verschränkt die
Arme und lehnt sich mit heftig pulsierender Schläfenader wieder an das
Sideboard.
    Zwölf
Stunden zuvor hatte Howard ermattet auf dem Pult im Geografieraum gelegen. Von
der Wand hatten die fröhlichen Bergleute aus dem Ruhrgebiet auf ihn
herabgegrinst, und Howard hatte, den Kopf nach hinten in den leeren Raum
gekippt, zu ihnen aufgeschaut und halb geträumt, er sei in einen
Bergwerksschacht gestürzt - oder war es ein Schützengraben, waren es
vielleicht Soldaten mit geschwärzten Gesichtern auf Nachtpatrouille ...? Auf
ihm lag Miss Mclntyre, die Finger in ihn gekrallt, ihr Haar über seine verschwitzte
Brust gebreitet, ihrer beider Körpergrenzen durchlässig, fließend, unbestimmt.
Der Sturm rüttelte am Fenster, und von Zeit zu Zeit erhellten Blitze den Raum,
so schnell, dass man nicht sicher war, ob man es sich nur eingebildet hatte.
Letzte Ausläufer tiefster Sättigung rannen durch seine Adern wie schwerer
Wein. Und dann merkte er, wie sie scharf Luft holte und ihr Körper sich auf
seinem versteifte, und noch ehe er fragen konnte, was los sei, spürte auch er
es: ein Schaudern bis ins Mark.
    Der harte
Beat schlug ihnen entgegen, kaum dass sie, noch an Knöpfen und Reißverschlüssen
fingernd, den Raum verließen, und mit jedem atemlos hastenden Schritt durch die
leeren Korridore wurde er lauter. Vor der Tür zur Turnhalle stießen sie auf
Wallace Willis, den DJ des Abends. Er zitterte am ganzen Leib, und sein
tränenverschmiertes Gesicht zeigte einen gequälten Ausdruck, als sei er drei
Tage lang in einem Kanalschacht eingeschlossen gewesen. »Die spielen die
falschen Songs!«, sagte er nur.
    Als sie
die Tür öffneten, schaltete die ohrenbetäubende Musik einen Moment lang jede
andere Wahrnehmung aus; doch nur einen Moment lang, dann überfiel sie

Weitere Kostenlose Bücher