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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 1)
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Auf Howards altem Platz stiert Daniel
»Skippy« Juster katatonisch ins Leere, als wäre er mit Drogen vollgepumpt; in
dem sonnigen Eckchen in der hinteren Reihe hat sich Henry Lafayette ein Nest
aus seinen Armen gebaut und seinen Kopf hineingebettet. Sogar die Uhr klingt
so, als sei sie schon fast eingenickt.
    »Das
haben wir jetzt doch zwei Tage lang durchgenommen. Wollt ihr behaupten, dass
keiner von euch auch nur eins der beteiligten Länder nennen kann? Kommt schon,
ihr geht hier nicht raus, ehe ihr mir nicht beweist, dass ihr's wisst.«
    »Uruguay?«,
murmelt Bob Shambles zögernd, als müsste er die Antwort aus wallenden
Zaubernebeln heraufbeschwören.
    »Nein«,
sagt Howard und schaut sicherheitshalber in das Buch, das aufgeschlagen auf
seinem Pult liegt. »Damals bekannt als >der Krieg,
der alle Kriege beendet< lautet die Unterschrift unter dem Foto einer riesigen,
von Wasserflächen durchzogenen Mondlandschaft, aus der alle natürlichen oder
von Menschenhand geschaffenen Lebenszeichen verschwunden sind.
    »Die
Juden?«, fragt Ultan O'Dowd.
    »Die
Juden sind kein Land. Mario?«
    »Ja?«
Mario Bianchi schaut ruckartig von dem Gegenstand auf, mit dem er gerade unter
dem Pult hantiert hat, wahrscheinlich seinem Handy. »Ah, das war ... es war -
Mann, hör auf-, Sir, Dennis begrapscht mein Bein! Mann, lass das, du
Grapscher!«
    »Hör
auf, sein Bein zu begrapschen, Dennis.«
    »Tu
ich ja gar nicht, Sir!« Dennis Hoey gibt die gekränkte Unschuld.
    An
der Tafel lässt die sinkende Sonne den aus dem Lehrbuch abgeschriebenen Text -
»MAIN«: Militarismus, Allianzen, Industrialisierung, Nationalismus -
allmählich verblassen. »Ja, Mario?«
    »Ah
...« Mario versucht Zeit zu gewinnen. »Na ja, Italien ...«
    »Italien
war für das Catering zuständig«, meint Niall Henaghan.
    »Hey!«,
warnt ihn Mario.
    »Sir,
Mario nennt seinen Pimmel Il Duce«, sagt Dennis.
    »Sir!«
    »Dennis.«
    »Doch,
im Ernst - ich hab's doch gehört, Mario. >Zeit, dich zu erheben, Duce<,
sagst du. >Dein Volk erwartet dich, Duce.<«
    »Wenigstens
hab ich einen Pimmel und nicht bloß ein ...«
    »Mir
scheint, wir kommen vom Thema ab«, schaltet sich Howard ein. »Kommt schon,
Jungs. Die wichtigsten Teilnehmer des Ersten Weltkriegs. Ich gebe euch einen
Tipp. Deutschland. Deutschland war beteiligt. Und welche Länder waren mit
Deutschland verbündet - ja, Henry?« Wovon immer Henry träumt, er gibt einen
lauten Schnarcher von sich. Als er seinen Namen hört, hebt er den Kopf und
schaut Howard aus trüben, erschrockenen Augen an.
    »Elfen?«,
sagt er.
    Hysterisches
Gelächter bricht los.
    »Äh,
wie war noch mal die Frage?«, fragt Henry leicht gekränkt.
    Howard
ist drauf und dran, sich seine Niederlage einzugestehen und noch einmal ganz
von vorn anzufangen. Ein Blick auf die Uhr entbindet ihn jedoch für heute jeder
weiteren Anstrengung. Er lässt die Jungen wieder ihr Lehrbuch aufschlagen und
Geoff Sproke das dort abgedruckte Gedicht vorlesen.
    »>Auf
Flanderns Feldern<«, beginnt Geoff. »Von Lieutenant John McCrae.«
    »Von Lieutenant John McGay«, witzelt John Reidy.
    »Also
bitte!«
    »>Auf Flanderns Feldern<«, liest Geoff, »> blüht der
Mohn<«:
     
    »Zwischen
den Kreuzen, Reihe um Reihe,
    Die
unseren Platz markieren; und am Himmel
    Fliegen
die Lerchen noch immer tapfer singend
    Kaum
gehört inmitten der Kanonen unten.
    Wir
sind die Toten. Vor wenigen Tagen noch
    Am
Leben - «
     
    An
dieser Stelle klingelt es. Schlagartig sind die tagträumenden, schläfrigen
Jungen hellwach, schnappen sich ihre Taschen, verstauen ihre Bücher und rücken
als geschlossener Trupp zur Tür vor. »Bis morgen lest ihr das Kapitel zu Ende«,
ruft Howard ins Getümmel. »Und wenn ihr schon dabei seid, dann lest auch
gleich, was ihr für heute auf hattet.« Aber die Klasse hat sich bereits
verflüchtigt, und Howard bleibt zurück und fragt sich wie immer, ob wohl
irgendwas von dem, was er gesagt hat, hängen geblieben ist; er sieht förmlich
seine Worte zerknüllt auf dem Boden liegen. Er packt seine Bücher weg, wischt
die Tafel ab und beginnt sich im Schulschlussgewühl zum Lehrerzimmer
durchzuschlagen.
    In
Our Ladys Hall tummeln sich, je nach hormoneller Lage, Zwerge und Riesen. Das
Aroma der Halbwüchsigkeit, gegen das weder Deodorants noch geöffnete Fenster
ankommen, hängt schwer in der Luft, und die Wände hallen wider von den mannigfachen
Pieps- und Klingeltönen, den schrillen Musikfetzen aus zweihundert Handys, die
während des Unterrichts

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