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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 1)
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das schmale Türfenster. Die
Jungen drinnen lassen keine Ungeduld erkennen; sie scheinen gar nicht zu
merken, wie die Zeit vergeht.
    Der
Grund dafür steht vor der Klasse. Sie heißt Miss Mclntyre und ist eine
Vertretung. Howard hat sie ein paar Mal kurz im Lehrerzimmer und auf dem Gang
gesehen, aber noch keine Gelegenheit gehabt, mit ihr zu sprechen. In den
dämmrigen Tiefen des Geografieraums zieht sie die Blicke auf sich wie eine
Flamme. Sie hat eine füllige blonde Haarmähne, wie man sie sonst nur in
Shampoowerbespots sieht, und trägt ein todschickes magnolien-farbenes Kostüm,
das besser in einen Sitzungssaal passen würde als in ein Schulzimmer der
Orientierungsstufe; ihre Stimme ist weich und melodisch, hat aber auch etwas
Autoritäres, einen befehlsgewohnten Unterton. In der Armbeuge hält sie einen
Globus, den sie beim Sprechen geistesabwesend streichelt wie einen dicken,
verwöhnten Kater; fast meint man ihn schnurren zu hören, während er sich träge
unter ihren Fingerspitzen dreht.
    »...
dicht unter der Erdoberfläche«, sagt sie gerade, »so hohe Temperaturen, dass
sogar das Gestein geschmolzen ist - kann mir jemand sagen, wie man das nennt,
dieses geschmolzene Gestein?«
    »Magma«,
krächzen mehrere Jungen gleichzeitig.
    »Und
wie nennt man es, wenn es aus einem Vulkan an die Oberfläche geschleudert
wird?«
    »Lava«,
antworten sie mit bebender Stimme.
    »Sehr
gut! Und vor Jahrmillionen gab es eine ungeheuer rege vulkanische Aktivität:
Magma quoll ununterbrochen zur gesamten Erdoberfläche auf. Die Landschaft, die
wir heute kennen« - sie fährt mit einem lackierten Fingernagel einen Bergrücken
hinab - »ist zum größten Teil in dieser Epoche entstanden, als der ganze
Planet dramatischen physikalischen Veränderungen unterworfen war. Man könnte
das vielleicht die Teenagerzeit der Erde nennen!«
    Die
Schüler erröten allesamt bis an die Haarwurzeln und schauen in ihre Lehrbücher.
Sie lacht erneut und lässt den Globus rotieren, zupft mit den Fingerspitzen an
ihm wie ein Bassist an den Saiten seines Instruments und schaut dann auf ihre
Uhr. »Ach, du meine Güte! Ach, ihr Ärmsten, ich hätte euch ja schon vor zehn
Minuten entlassen müssen! Warum hat denn keiner was gesagt?«
    Die
Jungen murmeln Unverständliches, ohne von ihren Büchern aufzuschauen.
    »Na
gut, also ...« Sie dreht sich um und schreibt die Hausaufgabe an die Tafel, so
weit oben, dass ihr der Rock bis über die Kniekehlen hochrutscht; wenige
Augenblicke danach öffnet sich die Tür, und die Jungen trotten widerstrebend
hinaus. Howard tut so, als betrachte er am Schwarzen Brett interessiert die
Fotos vom letzten Ausflug des Bergwanderclubs auf den Djouce Mountain, und
späht aus dem Augenwinkel, bis der Strom der grauen Pullover versiegt ist. Als
sie dann immer noch nicht auftaucht, geht er zurück, um nachzu...
    »Ups!«
    »O
Gott, Entschuldigung!« Er geht neben ihr in die Hocke und hilft ihr, die vielen
Blätter einzusammeln, die auf den schmutzigen Boden gefallen sind. »Tut mir
schrecklich leid, ich hab Sie gar nicht gesehen. Ich wollte gerade zu ... einer
Besprechung, und in der Eile ...«
    »Schon
gut«, sagt sie, »danke«, während er noch ein paar Landkarten auf den Stapel
legt, den sie wieder auf den Armen hält. »Danke«, wiederholt sie und schaut ihm
direkt in die Augen, und das tut sie auch weiter, während sich beide synchron
aufrichten, sodass Howard, unfähig, den Blick abzuwenden, einen Moment lang in
Panik gerät, als wären sie irgendwie aneinandergekettet, wie die Kids in den
apokryphen Geschichten, die sich beim Küssen mit ihren Zahnspangen ineinander
verhaken und von der Feuerwehr aus ihrer misslichen Lage befreit werden müssen.
    »Tut
mir leid«, sagt er noch einmal mechanisch.
    »Hören
Sie auf, sich zu entschuldigen«, sagt sie lachend.
    Er stellt
sich vor. »Ich bin Howard Fallon. Ich gebe Geschichte. Und Sie sind die
Vertretung für Finian O Dälaigh?«
    »Stimmt«,
sagt sie. »Er ist anscheinend bis Weihnachten krankgeschrieben; ich weiß
nicht, was er hat.«
    »Gallensteine«,
sagt Howard.
    »Oh«,
sagt sie.
    Howard
wünschte, er könnte die Gallensteine ungesagt machen. »Tja«, setzt er mühsam
neu an, »eigentlich bin ich auf dem Heimweg. Kann ich Sie mitnehmen?«
    Sie
legt den Kopf schräg. »Wollten Sie nicht in eine Besprechung?«
    »Doch.
Aber so wichtig ist die auch wieder nicht.«
    »Ich
bin auch mit dem Auto hier, trotzdem danke«, sagt sie. »Aber wenn Sie möchten,
könnten Sie mir

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