Murray,Paul
beiseite. Was ist über Juster zu sagen? Hatten Sie schon einmal Ärger
mit ihm?«
»Nein,
eigentlich ist er ein sehr guter Schüler. Warum? Sie glauben doch nicht, dass
er es absichtlich gemacht hat?«
»Ich
glaube gar nichts, Howard. Ich möchte nur sichergehen, dass wir die Sache von
allen Seiten beleuchten. Juster wohnt mit Ruprecht Van Doren zusammen. Ich brauche
Ihnen nicht zu sagen, dass Van Doren einer unserer herausragendsten Schüler
ist. Er hebt im Alleingang den Notendurchschnitt in seinem Jahrgang um sechs
Prozent an. Wir möchten nicht, dass ihm irgendetwas passiert, dass er in
falsche Gesellschaft gerät oder was auch immer.«
»Ich
glaube nicht, dass Sie sich wegen Juster Sorgen machen müssen. Vielleicht ist
er ein bisschen ein Träumer, aber ...«
»Auch
Träumerei fördern wir hier nicht, Howard. Realität, darum dreht sich alles.
Realität, objektive, empirische Wahrheiten. Das ist der Kern der
Prüfungsaufgaben. Wenn Sie in eine Prüfung gehen, will keiner wissen, was für
verrücktes Zeug Sie letzte Nacht geträumt haben. Die wollen harte Fakten.«
»Ich
wollte nur sagen«, müht sich Howard, »meiner Meinung nach ist er keinesfalls
irgendwie subversiv. Falls es das ist, was Sie befürchten.«
Der
Automator lenkt ein. »Wahrscheinlich haben Sie recht, Howard. Wahrscheinlich
hat er nur einen schlechten Burger gegessen. Trotzdem sollten wir auf Nummer
sicher gehen. Deshalb möchte ich, dass Sie mal mit ihm reden.«
»Ich?«
Zum zweiten Mal innerhalb von fünf Minuten fällt Howard das Herz in die Hose.
»Normalerweise
würde ich ihm eine Sitzung beim Beratungslehrer verordnen, aber Pater Foley
ist diese Woche nicht da, er hat eine Mittelohrentzündung. Was man so hört,
haben Sie einen ganz guten Draht zu Juster, und ich weiß, dass die Schüler
Ihnen vertrauen -«
»Das
würde ich nicht sagen«, wirft Howard rasch ein.
»Aber
natürlich tun sie das. Sie sind so jung, die sehen in Ihnen jemanden, dem sie
vertrauen können, so etwas wie einen älteren Bruder. Es muss ja nichts
Formelles sein. Nur eine kurze Plauderei. Fühlen Sie ihm auf den Zahn. Falls er
irgendeinen Groll hegt, beruhigen Sie ihn. Wahrscheinlich ist es nichts. Trotzdem
müssen wir sichergehen. Sich im Klassenzimmer erbrechen, das sollte nicht
Schule machen. Alles zu seiner Zeit und am richtigen Ort; im Klassenzimmer
übergibt man sich nicht. Oder meinen Sie, Sie könnten noch unterrichten,
Howard, wenn die Kids überall hinkotzen?«
»Nein«,
gibt Howard verdrossen zu. »Aber nach allem, was ich höre, sollten Sie besser
mit Pater Green sprechen statt mit Juster.«
»Mhm.«
Der Automator hängt einen Moment lang seinen Gedanken nach und dreht dabei
einen Füller zwischen den Fingern. »Es stimmt schon, was sich in Jeromes
Stunden abspielt, ist manchmal hart an der Grenze.« Er macht erneut eine Pause,
und der Sessel knarrt, als er sein Gewicht nach hinten verlagert; an das
Porträt seines Vorgängers gerichtet sagt er: »Offen gesagt, Howard, wäre es
wohl das Beste für alle, wenn die Paracletes sich auf die hinteren Ränge
zurückzögen. Bei allem Respekt für jeden Einzelnen von ihnen - die Wahrheit
ist, dass sie in pädagogischer Hinsicht zum alten Eisen gehören. Und dass sie
da sind, das weckt Ängste bei den Eltern. Was natürlich nicht ihre Schuld ist.
Aber kaum schaut man heutzutage in die Zeitung, schon liest man wieder eine
Horrorgeschichte, und es bleibt immer was hängen, das ist das Tragische dabei.«
Es
stimmt: Seit mehr als zehn Jahren hat eine endlose Folge von Skandalen -
heimliche Geliebte, Veruntreuung und, in einem noch immer unbegreiflichen
Ausmaß, Missbrauch von Kindern - die Macht der Kirche im Land fast auf den
Nullpunkt gebracht. Wie nur wenigen anderen Orden ist den Paraclete Fathers
solche Schande bis jetzt erspart geblieben - dass sie in einer Zeit spektakulärer
Wohlstandsvermehrung und noch spektakuläreren Konsums nach wie vor eine der
besten Privatschulen leiten, trägt ihnen sogar ein gewisses Prestige ein.
Trotzdem sind früher selbstverständliche Dinge wie das Heimbringen eines
Kindes nach der Chorprobe von der Liste der priesterlichen Obliegenheiten gestrichen
worden.
»Die
Kehrseite einer starken Marke ist, dass man sie schützen muss«, sagt der
Automator und dreht sich wieder zu Howard um. »Man muss sich vor Ideen und
Werten hüten, die dem zuwiderlaufen, wofür die Marke steht. Das ist eine
prekäre Zeit für Seabrook, Howard. Deshalb möchte ich sicherstellen, dass
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